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Synodalitäten

Von Plattentektonik, zwei Schwestern und dreifacher Politik

Synodalitäten? Allein schon deswegen, wie viel man in letzter Zeit zum Thema lesen und hören konnte, könnte sich die Verwendung des Plurals nahelegen. Führte der Begriff „Synodalität“ noch vor fünf Jahren ein theologisches Nischendasein, so ist er in der katholischen Kirche in Deutschland und wohl auch weltweit mittlerweile geläufig. So viel ist in letzter Zeit dazu geschrieben worden, dass hier nur einige Anmerkungen zu ausgewählten Aspekten gemacht werden sollen.

Die internationale Karriere dieses Begriffs gefördert hat aber weniger der Synodale Weg in Deutschland, sondern vornehmlich die Weltbischofssynode zu Synodalität, die Papst Franziskus ins Leben gerufen hat. Auch wenn sich die konkreten Folgen dieses Unternehmens naturgemäß erst in der Zukunft zeigen werden, so sind schon jetzt nicht unbedeutende Auswirkungen auf die weltweite Kirchenentwicklung erkennbar; vielerorts kamen Diskurse über bestimmte Fragen in Gang, wie es sie in dieser Offenheit bisher nicht gegeben hat.

Aber natürlich verweist der Plural „Synodalitäten“ viel mehr noch auf den Streit um das rechte Verständnis von Synodalität.

Maria und Martha

Es gibt eine alte kirchliche Tradition, die die beiden Schwestern Martha und Maria als Beispiele für vita activa und vita contemplativa kontrastiv einander gegenüberstellt – wobei der Kontemplation der Vorrang eingeräumt wird (vgl. Kontemplation 2023). Ob das den beiden wirklich gerecht wird, ist fraglich. Nicht nur, weil wir im Neuen Testament nicht wirklich viel über die Schwestern erfahren. Auch ist christliches Leben wohl nicht ohne beide Pole denkbar.

Und doch zeigen sich hier nicht nur Unterschiede in der Persönlichkeit, sondern auch im Ausdruck des Glaubens. Stile, die in Konflikt geraten können – wie derzeit beim Verständnis von Synodalität. Damit findet aber zugleich ein wichtiger Klärungsprozess statt!

„Man berät lange, hört gut zu, lässt die Geister wirken und ‚unterscheidet‘ sie, lässt ‚die Suppe lange auf kleiner Flamme köcheln‘. Am Ende entscheidet einer, der Chef, und zwar top-down“ (Kiechle 2023). Dieser jesuitisch geprägte Regierungsstil, wie ihn Stephan Kiechle darstellt, wirkt sich auch darauf aus, wie Papst Franziskus offenbar Synodalität versteht: als Prozess des Hörens, Bedenkens und Unterscheidens mit langem Atem, der der hierarchischen Entscheidungsgewalt nichts wegnimmt.

Der „deutsche“ Stil von Synodalität ist dagegen „ungeduldiger“: Nicht nur ist man es leid, dass Entscheidungen durch unverbindliches „Hören“ verschleppt werden, sondern man verbindet auch im Sinne eines modernen Verständnisses von Partizipation Beratung und Entscheidung.

Was dazu führt, dass sich v. a. „Bewahrer:innen“ schnell überfahren fühlen.

Allerdings (um in Anlehnung an Paul Watzlawick zu sprechen): Man kann nicht nicht entscheiden! Selbst die Vermeidung einer Entscheidung ist eine Entscheidung: etwa dafür, die Dinge einfach geschehen zu lassen oder beim Bisherigen zu bleiben. Und in der Tat sehen wir bei nicht wenigen Verantwortlichen in der Kirche starke Tendenzen zum Erhalt des Status quo, was durch autoritäre Ansagen aus dem Vatikan immer wieder gestützt wird: wobei man hier nicht nur auf Deutschland schauen sollte, sondern eher mehr noch auf andere Teile der Weltkirche (Osteuropa, Afrika …)!

Freilich geht es bei den verschiedenen Ausprägungen von Synodalität nicht nur um die Frage: mit oder ohne Entscheidung? Allein schon das Hören kann ganz unterschiedlich gestaltet sein: Sind Verständnisfragen zulässig? Darf man zu bestimmten Punkten des Gehörten um weitere Erläuterungen bitten? Setzt man sein eigenes Statement nur unverbunden daneben oder geht man auf die Äußerungen der anderen ein? Und weiter: Gibt es Diskussionen, Debatten? Wie offen spricht man – auch wenn man damit womöglich andere vor den Kopf stößt? Gibt es thematische Begrenzungen? Und wie weit bindet man theologische Expertise und Fachleute ein?

Und von Sitz- und Redeordnungen, von Verhaltens- und Gesprächsregeln, von Sitzungsplänen, von verschiedenen methodischen Elementen (Kleingruppenarbeit, Fishbowl, Schreibgespräch etc.) haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen …

Für die anstehenden zwei Sitzungen der Generalversammlung der Weltbischofssynode wird sicher eine bestimmte Form von Synodalität von den Organisatoren vorgegeben werden. Wir dürfen aber gespannt sein, wie sich die reale Beratungskultur entwickeln wird. Auch das Zweite Vatikanische Konzil hat auf Drängen der Delegierten zu einem modus operandi gefunden, der nicht den Vorstellungen und Planungen einflussreicher Kurialer entsprach. Aber geht es nicht genau darum bei der kommenden Weltbischofssynode: sich synodal über eine der Kirche gemäße Form von Synodalität zu verständigen?

Vielleicht gelingt ja eine Synthese der unterschiedlichen Ansätze. Maria und Martha mussten ja auch miteinander auskommen!

Plattentektonik der Normalität

Um noch einmal Paul Watzlawick zu bemühen: Man kann sich auch nicht nicht bewegen. Selbst wenn man sich in den eigenen vier Wänden einmauert – die Erdplatte unter einem bewegt sich doch, wenngleich sehr langsam.

Übertragen bedeutet das: Auch die ultrakonservativsten Erztraditionalist:innen gehen letztlich doch mit der Zeit – nur eben mit Verzögerung.

Im Grunde geht es darum, was man als „normal“ im Sinne von „in Ordnung/​mindestens im Rahmen des Akzeptablen liegend“ versteht (oder implizit: was man „gewohnt“ ist). Normalität wird oft beschworen, um Veränderung zu diffamieren. Veränderung bringt Neues, bringt die gewohnte (und als normal und verbindlich empfundene) Ordnung durcheinander. Allerdings wird dieses Neue nach einer Weile dann doch als normal empfunden, wenn man sich daran gewöhnt hat – und oft verteidigen die einstigen Gegner die neue Normalität sogar, wenn diese durch weitere Veränderungen in Frage gestellt wird.

Der Unterschied ist also nur, ob man das Neue mit offenen Armen empfängt, vielleicht sogar ersehnt und vorantreibt – oder ob man durch Vorsicht und Kritik die Einführung des Neuen bremst oder gar aus verschiedenen Gründen zu verhindern versucht oder diffamiert (wie die AfD mit dem Slogan: „Deutschland. Aber normal.“). Man kann Veränderung nicht verhindern – und nur begrenzt steuern und verzögern.

Von daher sind viele kirchliche Debatten, wie wir sie etwa auf dem Synodalen Weg erlebt haben, lediglich Rückzugsgefechte, die sich konservative Kräfte liefern. Letztlich ist vieles nur eine Frage der Geschwindigkeit, ob und wie man neue Erkenntnisse und Gedanken akzeptiert und in sein eigenes Koordinatensystem einbaut. Auch wenn „Reformer:innen“ beklagen, es gehe zu wenig voran, so hat sich mit den Synodalversammlungen, Diskussionen, Papieren und Beschlüssen doch einiges entwickelt (übrigens mit mehr als nur plattentektonischem Tempo!).

Vor allem hat sich der Raum des Denk- und Sagbaren verschoben. Bestimmte Weisen des Redens (z. B. über LSBTIQ+-Menschen) gehen einfach nicht mehr. In erstaunlicher Offenheit wurde auch von manchen Bischöfen über die Priesterweihe von Frauen und eine Änderung der kirchlichen Sexualmoral gesprochen. Verschiedene Themen bekamen endlich eine offene Diskussion in einer Versammlung, der auch alle Bischöfe angehörten: Themen, die etliche ansonsten nicht angefasst hätten, zumindest nicht in dieser intensiven und umfangreichen Weise.

Und selbst wenn Einzelne den Rückzug aus Synodalforen oder der Synodalversammlung angetreten haben: Auch manche Bischöfe, die dem Synodalen Weg insgesamt skeptisch gegenüberstehen, konstatierten, dass sie viel gelernt hätten, nachdenklich aus persönlichen Gesprächen herausgegangen seien, sich mit Fragen in einer Weise beschäftigt hätten, wie es ohne den Synodalen Weg nicht der Fall gewesen wäre …

Die Plattentektonik zeigt aber auch, was passiert, wenn man zu lange Bewegung unterdrückt. Wenn sich Teile von zwei Erdplatten ineinander verkeilen, dann bauen sich Spannungen auf, die sich eines Tages ruckartig lösen – verbunden mit Erdbeben. Und wie enorm dann die Schäden sein können, haben wir erst vor Kurzem im türkisch-syrischen Grenzgebiet gesehen.

Wir können keine Erdplatten steuern. Aber wir können (mit etwas Glück und oft mit viel Mühe) zwischenmenschliche Verkeilungen lösen. Das geht aber nur – es sei denn, eine Seite gibt klein bei oder wird weggeschoben –, wenn beide Parteien miteinander in ein Gespräch gehen, das zumindest einigermaßen auf Augenhöhe stattfindet. Der Synodale Weg bot viel Raum, dies zu praktizieren und einzuüben.

Aufmerksamkeitsökonomien

Um was geht es in der katholischen Kirche? Eucharistie, Bischöfe, Lehre, Priester, Maria, Anbetung, Jesus Christus, Gott …?

Papst Franziskus wird nicht müde, dafür zu werben, als Kirche den Blick auf die Armen zu richten, also auf oft übersehene Menschen.

Der Synodale Weg hat tatsächlich den Blick auf bisher oft ausgeblendete, ausgegrenzte und kirchlicherseits übersehene Personengruppen gelenkt: etwa Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität; #OutInChurch flankierte gewissermaßen den Synodalen Weg. Auch Frauen, die in sich eine geistliche Berufung zum Amtspriestertum verspüren, traten hervor (vgl. Rath 2021). Generell waren die Rollen von Frauen in der Kirche ein zentrales Thema – was sich übrigens auch auf weltkirchlicher Ebene nach den Kontinentalversammlungen als ein zentrales Thema der Weltbischofssynode abzeichnet (vgl. Adams u. a. 2023).

Öffentliche Aufmerksamkeit ist ein rares (ökonomisches) Gut, das nur in begrenztem Maß vorhanden ist. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass es Gruppen gibt, die beim Synodalen Weg weniger Aufmerksamkeit als gewohnt erhalten haben. Allein vom optischen Bild der Plenarversammlungen her waren v. a. die Bischöfe nicht so dominant, wie man es sonst meist erlebt.

Es fand aber noch eine zweite aufmerksamkeitsökonomische Verschiebung statt, nämlich im Feld der theologischen Argumentation: Bisher konnten sich im Bereich der kirchlichen Lehre neue theologische Ansätze oft genug nur mühsam (oder gar nicht) gegenüber klassischen kirchlichen Positionen behaupten. In einer Art „Beweislastumkehr“ erfuhren nun Vertreter:innen konservativer Theologien, wie sie sich kaum gegenüber modernen Ansätzen einer kontextuellen Theologie behaupten konnten.

Trotz vieler Schwierigkeiten konnten die Plenarversammlungen des Synodalen Wegs viele Texte verabschieden, die argumentativ Pflöcke einschlagen und Zeichen setzen. Diese Pionierleistung ist zu würdigen! An diesen Texten wird sich hoffentlich zukünftig amtliches Theologietreiben in Deutschland und darüber hinaus messen lassen.

Politiken

„Die Synode ist ein Weg der geistlichen und kirchlichen Unterscheidung, der vor allem in der Anbetung, im Gebet, im Kontakt mit dem Wort Gottes und nicht durch unseren eigenen Willen, unsere eigenen Ideen oder unsere eigenen Pläne vollzogen wird“ (Papst 2022). Ein solches Verständnis von Synode, wie es Papst Franziskus formuliert, setzt vor allem auf intensives Hören – auf die anderen Synodenteilnehmer und auf Gott – und lehnt die Verfolgung eigener Interessen und das Verständnis einer Synode als „Parlament“ ab.

Aber nicht nur der Synodale Weg, sondern auch die Weltbischofssynode ist in ihrem bisherigen Verlauf entlarvend: Synodalität in der Kirche hat mehr mit einem Parlament und Politik gemeinsam, als es Papst Franziskus recht sein dürfte.

Man kann den deutschen Begriff Politik unter Zuhilfenahme englischsprachiger Begriffe in drei Aspekte spalten: Während polity auf Strukturen und policy auf Inhalte rekurriert, steht politics für Prozesse wie „beispielsweise Wahlverfahren, Abstimmungen, aber auch Lobbyismus und Öffentlichkeitsarbeit“ (Politics 2023). Das Politische hat also viele Aspekte – und so schnell entkommt man der Politik nicht!

Etwa den Brief des Papstes an den Synodalen Weg nicht auch als politisch zu sehen, wäre naiv. Auch die Debatte darüber hat wieder einmal gezeigt, wie Menschen stets vornehmlich das sehen und wahrnehmen und plausibel finden – und dann letztlich unterstützen! –, was zu ihren eigenen Vorstellungen passt. Zudem wäre es unmenschlich, von Menschen zu erwarten, völlig ohne Vorannahmen und Interessen in einen Diskurs zu gehen. Darüber hinaus ist natürlich auch der institutionell-strukturelle Rahmen eine hochpolitische Angelegenheit: Man erinnere sich nur an die aufgeregten Debatten über Mitgliederbestimmung, Geschäftsordnung und Sitzordnung zu Beginn des Synodalen Wegs – sowie an fortwährende Klagen über die Debattenkultur!

Die zahlreichen öffentlichen Positionierungen rund um den Synodalen Weg und die Weltbischofssynode machen vollends klar: Letztlich geht es – wie bei allen Synoden in der Kirchengeschichte – auch ganz irdisch nüchtern um handfeste Interessen: um Werben für den eigenen Standpunkt, um das Erreichen von Zielen, ja sogar um Machtverhältnisse. Alles aufmerksame Zuhören kann nicht verbergen, dass hinter synodalen Diskursen oft genug schon lange schwelende Konflikte stehen (das war schon beim Apostelkonzil so).

Aber ist das schlecht? Wird Synodalität nicht erst bei konkreten Fragen und Konflikten sowie offenem Meinungsstreit innerhalb und außerhalb der Synodenaula konkret? Kann der Heilige Geist nicht auch bei Abstimmungen wirken? Und ist nicht vielleicht die eigentliche Bewährungsprobe für Synodalität die praktische Umsetzung von Beschlüssen?

Es geht auch bei Synodalität nicht ohne Politik in ihren verschiedenen Facetten: vorgegebene Regeln, Ziele und Programme, Connections, Einfluss, ungeschriebene Gesetze, Fragen von Repräsentation und Repräsentativität, Abstimmungen … Doch – und da spielt Papst Franziskus eine große Rolle – der Stil des Umgangs miteinander (aufmerksames Zuhören und nicht rücksichtsloses Verfolgen eigener Interessen …) liegt auch in unserer Hand. Ohne in idealistische Naivität zu verfallen, gilt es, der Kirche Raum und Zeit zu geben, eine neue Kultur der Synodalität Schritt für Schritt zu entwickeln und zu leben.