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Vom Terrain der Krankenhausseelsorge

Angesichts knapper (Personal-)Ressourcen stehen in den Bistümern klassisch kategoriale Arbeitsfelder zunehmend in Frage und werden der territorialen Pfarreiseelsorge zu- und damit meist untergeordnet. Christoph Seidl und Martin Seidnader plädieren angesichts dieser Entwicklung für eine weiterhin eigenständige und spezialisierte Krankenhausseelsorge, die verlässlich Beistand und Begleitung für Menschen in der besonderen Krisensituation der Krankheit leisten kann.

Seelsorgende im Krankenhaus wissen, dass ihnen eine ganz besondere Aufgabe anvertraut ist: Es geht um Menschen in schwierigen Lebenssituationen; es geht um die Frage, wie diese Zeit der Krankheit gelebt werden kann, manchmal sogar, ob sie überlebt werden kann. Für die einen ist schon eine vorübergehende Aus-Zeit aus dem gewohnten Alltagsgeschäft eine enorme Herausforderung, für andere geht es tatsächlich um gravierende Veränderungen im Leben, ja vielleicht um die Vorbereitung auf ihre letzte Wegstrecke. Und da gibt es noch die Vielen, die sich der erkrankten Menschen annehmen: Medizinerinnen und Mediziner, Pflegende, soziale und technische Dienste, die je auf ihre Weise mit Krankheit und nicht selten mit der Frage nach dem Sinn des Lebens konfrontiert sind. Seelsorgende im Krankenhaus haben auch sie im Blick – und sie spüren: Dieses Feld der Seelsorge ist wie eine eigene Gemeinde. Hier stehen Menschen und ihre Lebenskontexte im Fokus, die in der Pfarrgemeinde aufgrund der vielfältigen Aufgaben oft aus dem Blick geraten.

In Zeiten schwindender Personalkapazitäten wird nun diskutiert, wie die verbleibenden Seelsorgerinnen am besten verteilt werden können. Eine Argumentation besagt, dass sich Kirche auf das „Kerngeschäft“ zurückziehen müsse, nämlich auf die Pfarrgemeinde, in der sich alle Lebensthemen wiederfinden. Man denkt in pastoralen Räumen und ordnet Kliniken und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens diesen Räumen zu. Das mag rechnerisch als gute Lösung aufgehen, aber die Erfahrung lehrt, dass die Intensität und Sorgfalt, mit der die spezifische Krankenhausseelsorge Menschen begleiten kann, doch verloren gehen. Schnell reduziert sich pastorales Handeln im Krankenhaus auf die „Versorgung“ der Grundbedürfnisse, auf Rufbereitschaft und sakramentale Dienste. Auf diese Weise verkürzt sich seelsorgerliches Tun auch bald wieder auf den letzten Dienst an Sterbenden – wenn der überhaupt noch rechtzeitig möglich ist.

Fraglich scheint dabei der Begriff „Kerngeschäft“ im Zusammenhang mit Pfarrgemeinde. Denn zum Kerngeschäft gehört doch gerade die Sorge um die Kranken und Notleidenden. Nicht von ungefähr wird bei allen drei Weihestufen des Ordo im Zusammenhang mit den Bereitschaftsfragen nur eine Frage fast identisch gestellt. Bei Diakonen- und Priesterweihe lautet sie: „Seid ihr bereit, den Armen und Kranken beizustehen und den Heimatlosen und Notleidenden zu helfen?“ (Pontifikale S. 133, Nr. 31 bzw. S. 78, Nr. 27). Bei der Bischofsweihe heißt es etwas abgewandelt: „Bist du bereit, um des Herrn willen den Armen und den Heimatlosen und allen Notleidenden gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu sein?“ (Pontifikale S. 32, Nr. 31). Ganz offensichtlich gehört das Thema Kranke und Notleidende zum „Kerngeschäft“ des kirchlichen Amtes, also der Seelsorge – kein anderes Thema wird so zentral betont. Zudem lehrt die pastorale Erfahrung, dass der Kirche genau in diesem Bereich noch am meisten Kompetenz zugetraut wird. Die Menschen erwarten zu Recht die Präsenz von Seelsorge in den Grenzsituationen des Lebens, sie erwarten verlässliche Ansprechpartner und verlässlichen Zuspruch in Momenten, da der Boden unter den Füßen wackelt. Muss nicht das Terrain der Krankenhausseelsorge von daher bleibend als Kerngeschäft gelten?

Verlässlichkeit im kirchlichen Handeln

Einsichten aus der Coronapandemie lehren, dass Verlässlichkeit im kirchlichen Handeln beim Infektionsschutz beginnt. Wird die Seelsorgerin in die Klinik gerufen, um „abgesonderten“ Personen Beistand zu leisten, darf sie das fremde Territorium betreten. Sie ist neben Urkundspersonen zuzulassen (§ 30 Abs. 4 Infektionsschutzgesetz) und unterliegt dabei strengen Hygieneauflagen, die sie im Interesse aller Beteiligten beachtet. Darauf müssen sich die medizinisch Verantwortlichen verlassen können. Was sich in der Pandemie besonders bewährt hat, ist die Vertrautheit von qualifizierter und professioneller Klinikseelsorge mit den Abläufen und Erfordernissen eines Krankenhauses. Wo Seelsorge regelmäßig präsent ist im fremden System (ohne in diesem System aufzugehen), da wird sie auch in existentiell zugespitzten Situationen gerufen, mit einer gewissen Selbstverständlichkeit einbezogen und für die anvertrauten Personen wirksam. Erschütternde Fallberichte vor allem während des ersten Lockdowns zeigten: Hier ging es um isolierte Kranke, oftmals Sterbende, es ging um Angst, um die Sorgen und den Schmerz der Angehörigen angesichts von Betretungsverboten, um die Lage des medizinischen Personals. Das Krankenhaus ist ein Brennspiegel gesellschaftlicher Verhältnisse. Daher verdeutlichte die Pandemie nur einen Regelzusammenhang: Seelsorge wird geschätzt und in ihrer Zuständigkeit geachtet, wenn ihre Akteurinnen verlässlich bei den Menschen sind, die ihren Dienst benötigen.

Die aktuellen Strukturplanungen in den Diözesen gehen zunächst von einer anderen Logik und Zeitperspektive aus, suchen aber ebenfalls nach verlässlichen Größen. Es steht die Frage im Raum, wie die verfügbaren Ressourcen beim Personal (und zunehmend beim Geld) in den kirchlichen Handlungsfeldern längerfristig eingesetzt werden sollen. Nehmen die Kräfte zahlenmäßig ab, sind Auseinandersetzungen über Prioritäten und Einsatzbereiche nachvollziehbar. In binnenkirchlichen Diskussionen macht sich das mitunter an einem Gegenüber von „Territorial- und Kategorialseelsorge“ fest. Der jeweils eigene Schwerpunkt wird auf Kosten anderer profiliert. Dabei sollte allerdings vor Augen bleiben, woran eine geistliche Mentorin einmal erinnert hat: Niemand wird allein dadurch stärker, dass er andere schwächt.

Diakonische Pastoral

Verantwortliches Planen auf Zukunft hin braucht einen Fokus, der nicht allein von aktuellen Krisen bestimmt ist, sondern inhaltliche Zielsetzungen und – im pastoralen Kontext – die kirchliche Sendung berücksichtigt. Hier können Einsichten zur Wirksamkeit des eigenen Handelns sinnvoll eingetragen werden. Aktuell spiegelt sich das etwa in Gestaltungsfragen einer „dienstamtlich“ verfassten Kirche, wie sie die erste Sitzung der XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober 2023 in Rom auf die Agenda setzt (Instrumentum laboris, Arbeitsblätter zu B 2.2, B 2.4 u. ö.). Dem sei ein Beispiel aus der krankenpastoralen Praxis zur Seite gestellt: Seit dem Auslaufen der Coronamaßnahmen darf ein Ortspfarrer wieder das Krankenhaus betreten, um eine Patientin zu besuchen, die aus seinem Sprengel (i. e. Territorium als Zuständigkeitsbereich) stammt. Damit verwirklicht er einen ureigenen parochialen Dienst, er kann ein Werk der Barmherzigkeit tun, vielleicht Sakramente spenden. Gleichzeitig wird er nicht zum Krankenhausseelsorger, sobald er am Klinikempfang vorbeigeht. Um es klar zu sagen: Sein Dienst bleibt der seelsorgliche Krankenbesuch. Er wechselt nicht automatisch die Rolle. Und seine Rolle konfligiert auch nicht mit dem „Dienstamt“ und der Sendung des Klinikseelsorgers, der den Besuch auf Wunsch der Patientin vermittelt hat. Der Kollege mit Tätigkeitsschwerpunkt in der Klinik richtet sein Handeln daran aus, was die Person in ihrer Situation des Krankseins benötigt, sowie am sozialen Umfeld dieser Kranken (dazu gehören in diesem Beispiel der Ortspfarrer ebenso wie An- und Zugehörige) – und er behält das Klinikpersonal sowie die Institution Krankenhaus im Blick, welche Gesundheit und Wohlbefinden der Patientin fokussieren. Diese Differenzierung nimmt die unterschiedlichen Beteiligten als Personen ernst und entspricht den differenzierten Erwartungen an das berufliche Rollenhandeln in der Krankenhausseelsorge. Die genannten sozialen Rollen (und andere mehr) bestimmen sich von dem seelsorglichen Dienst her, den die anvertrauten Personen benötigen, und von deren spezifischen Erwartungen her.

Der Zuständigkeitsbereich von Krankenhausseelsorge, wenn man so will: das fachliche Terrain, wo sie tätig wird, ist theologisch in der diakonischen Pastoral anzusiedeln. Kirchliches Handeln lässt sich hier bestimmen von der diakonischen Frage, was Personen in der besonderen Situation von (schwerer) Krankheit und Krise, im Umfeld von Sterben und Tod benötigen. Als diakonische Frage gestellt, richtet sie den Fokus nicht zuerst auf die Zugehörigkeit einer Person zur (eigenen) Kirche. Sie vermittelt nicht in erster Linie Inhalte christlicher Religiosität, sondern gibt ein Zeugnis christlichen Beistands in einem durch und durch säkular bestimmten Kontext. Das Krankenhaus gehorcht den Regeln des Gesundheitswesens, seine Institution dient der Daseinsvorsorge und ist auf spezifische Abläufe hin organisiert. Den kranken Menschen selbst, sein persönliches und professionelles Umfeld in der Klinik dennoch nicht auf Kategorien wie Krankheit und Gesundheit zu reduzieren, gehört zur Eigenart von Seelsorge.

Wirksame Seelsorge

Schon bald nach dem Konzil stellte Karl Rahner das Thema „‚Taktische‘ Strukturen der Seelsorge“ in den größeren Kontext vom „Selbstvollzug der Kirche“ durch ihr praktisches Wirken (Rahner 1995). Die Relecture nach einem halben Jahrhundert lohnt. Der Konzilstheologe erinnert an das Zueinander von Heilsvermittlung und individuellem Heilsprozess. Beide lassen sich nicht gegeneinander verwirklichen. Vielmehr lässt sich Rahners Beitrag entnehmen: Gerade die Diözese braucht mehr als einen rein territorialen Fokus und sie ist auch mehr als die Summe ihrer territorialen Einheiten. Um ihrer Sendung willen muss Seelsorge stets auch personal durchdacht und funktional verantwortet werden. Wenngleich die Krankenhausseelsorge als solche kaum explizit thematisiert wird, macht sich das universale Kirchenrecht eine ähnliche Einsicht zu eigen. Der nachkonziliare CIC verlangt (in c. 383 § 1) vom Diözesanbischof, „den apostolischen Geist auch denen zuzuwenden, die wegen ihrer Lebensumstände aus der ordentlichen Seelsorge nicht hinreichend Nutzen ziehen können, wie auch jenen, die von der religiösen Praxis abständig geworden sind“. Eine unverzichtbar personale Perspektive wird hier erkennbar und anschlussfähig. Wo (schwere) Krankheit, Krisen, Sterben und Tod sie fordern, benötigen Menschen ob dieser Lebensumstände eine Seelsorge, die sich auf den Beistand in genau solchen Situationen versteht. Ein ökumenischer Ansatz sollte hier ebenso Standard sein wie die Offenheit für religiös anders oder nicht (mehr) gebundene Personen – Letzteres wird zunehmend der Regelfall. Nochmals: Das Krankenhaus mit den Menschen, die darin behandelt werden, auftauchen und arbeiten, ist ein Spiegel der Gesellschaft. Einrichtungen des Gesundheitswesens bilden wie Brennpunkte die Situation in einem bestimmten Sozialraum ab und gerade so einen privilegierten Ort kirchlichen Wirkens.

Mit ihrem Wort „In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche“ (2022) positionieren sich die deutschen Bischöfe zum Selbstverständnis kirchlicher Seelsorge – erstmals, wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in seinem Vorwort betont. Jenes ist begründet „in der Sendung Jesu Christi“ und „in der christlichen Tradition“ beheimatet. Kirchliche Seelsorge entwickelt „ihr Profil im Kontext einer pluralen und säkularen Gesellschaft“ (ebd. 5 f.). Gerade der dritte Aspekt lenkt die Aufmerksamkeit auf Fragen der Qualität und der Qualifizierung für ein pastorales Handlungsfeld. Das Seelsorgepapier richtet den Blick auf Grundlagen von Seelsorge und die genuin kirchlichen Handlungsräume (und das durchaus wertschätzend), weitet diesen aber deutlich aus auf die „nichtgemeindlichen“ Orte. Hier findet neben anderen Einsatzfeldern auch die Krankenhausseelsorge den Weg zu „Menschen, die oft nicht nur gemeindefern, sondern auch kirchenfern sind“ (ebd. 51). Der Anspruch an pastorales Handeln in der Gegenwart und absehbaren Zukunft wird noch mehr bestimmt sein durch die individuellen Biografien und die Wahrnehmung der jeweiligen Lebenswelten. Eine stärker sozialräumliche Arbeitsweise liegt demzufolge nahe, wodurch kirchliches Handeln den Personen in ihrer Alltagswelt begegnet. Auch „Tür-und-Angel-Gespräche“ finden bevorzugt da statt, wo Menschen sich aufhalten, leben und arbeiten. Die Coronapandemie ließ zudem die Bedeutung von Online-Formaten spürbar werden (ebd. 54 f.). In Institutionen verlangt Seelsorgepräsenz die Kenntnis und Anerkenntnis der jeweiligen „Organisationskultur“ und gleichzeitig das Bewusstsein für die eigene Rolle, die sich immer wieder auch als ein Gegenüber definieren wird (ebd. 55). „Kirchen- und Pastoralentwicklung“ können so mit den gesellschaftlichen und pastoralen Realitäten Schritt halten und binnenkirchliche Strukturgrenzen überwinden. „Ziel muss es immer sein, die Seelsorge in den Lebenswelten und Sozialräumen der Menschen zu verorten.“ Dem „Zueinander von Ehren- und Hauptamtlichen“ wird noch mehr Bedeutung zukommen, das Gleiche gilt für die Kooperation mit öffentlichen und weiteren Trägern (ebd. 57 f.). In einem Ausblick legt das Seelsorgepapier den Handelnden ein respektvolles, achtsames Hören nahe – auf „vier Ebenen“: der anvertrauten Personen, der sozialen und kirchlichen Kontexte, der Seelsorgenden selbst und der Zuwendung Gottes zu den Menschen (ebd. 59).

Einsichten in die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Seelsorge stattfindet und gelingen kann, sollen bei der Planung und bei der Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Einsatzfeldern präsent sein. Unterkomplexe Lösungen greifen nicht nachhaltig und bloß binnenkirchlich motivierte Antworten werden den Zeichen der Zeit nicht gerecht. Pastoraler Einsatz verlangt Bildung in einem umfassenden Sinne – menschlich, pastoral, spirituell – und auch das Maßnehmen an fachlichen Standards ist für eine wirksame Seelsorge essenziell. Die Frage, ob sie gelingt, wird nicht rein human entschieden, setzt aber bei den beteiligten Personen und bei einem zeitgemäßen leitenden Seelsorgeverständnis an. Das gilt an vorderer Linie auf dem Terrain der Krankenhausseelsorge, wo der kranke Mensch und sein Umfeld existentiell gefordert sind und tragfähige Antworten verdienen.

Abschließend mögen drei Thesen diese Überlegungen zusammenfassen:

  1. Die Auflösung der speziellen Krankenhausseelsorge in der Gemeinde- bzw. Pastoralraumseelsorge greift zu kurz, da es sich gerade bei der Begleitung der Kranken und Sterbenden um eine der zentralen Aufgaben des kirchlichen Auftrags handelt. Man darf mit Fug und Recht vom Terrain der Krankenhausseelsorge sprechen, also von einem unverzichtbaren Feld christlicher Hirtensorge.
  2. Gerade in diesem Bereich der diakonischen Pastoral wird der Kirche stets am meisten Kompetenz zugetraut und es wird zu Recht eine verlässliche Erreichbarkeit von speziell qualifizierten Seelsorgenden erwartet, die sonst nur noch in der Notfallseelsorge gegeben ist.
  3. Die spezifische Krankenhausseelsorge ermöglicht es immer noch – sogar durch das Grundgesetz bzw. durch Länderverfassungen geschützt –, Menschen zu erreichen, die nicht unbedingt zu den verbleibenden Kirchgängern zählen oder sogar nicht (mehr) Mitglieder der katholischen Kirche sind. Es handelt sich deshalb dabei im guten Sinn auch um ein Feld der missionarischen Pastoral.