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Die genussvolle Art des Denkens

„Der Angeklagte wird freigesprochen!“ So endete bisher stets das rund dreistündige Verfahren – gegen Gott. Und zwar am „Gerichtshof der Menschheit“ (Kant), vor dem sich Gott für das Leid verantworten muss.

Was Theologen unter dem nüchternen Begriff „Theodizee“ abhandeln, wird in der „Catech’eria“ mit Dirk Maass als Religionsphilosophen und in der Rolle als „vorsitzender Richter“ zum spannenden Gerichtsspektakel. Die Teilnehmer schlüpfen in die Rollen von Schöffen, also Laienrichtern, und wirken an der Urteilsfindung mit.

Nach Verlesung der happigen Anklageschrift neigen die Schöffen dazu, auf „schuldig“ zu plädieren. Wie bitte – ein schuldiger Gott!? Eine fast blasphemische Vorstellung, die nicht nur Theologen Schweißperlen auf die Stirn treibt. Aber spätestens seit Hiob ist die (An‑)​Klage durch den Menschen eine Gott vertraute Regung. Er kennt unseren inneren Protest gegen ihn. Warum also damit hinterm Berg halten?

Komfortabler Freispruch

In den Zeugenstand der Anklage tritt niemand Geringerer als – genau: Hiob. Gefolgt von Judas, der seinem Unmut über den Sohn des Angeklagten freien Lauf lässt, bevor sich dann noch Paulus über seinen Dienstherrn beschwert. Es kommen Sachverständige zu Wort, die zum Leid Hintergründe und Erkenntnisse vorstellen, die Leid in ein überraschend neues Licht stellen. Schließlich stellt sich die Frage, wie man einen Gott bestrafen könnte. Aber da geschieht das Erstaunliche: Die finale Urteilsfindung führt zum komfortablen Freispruch. Freilich nicht ohne vorher dem Angeklagten das letzte Wort zu überlassen. Aber das wird hier nicht verraten!

Während der drei Verhandlungspausen führt eine Verkostung von israelischem (!) Whisky in die leidvolle Praxis: Der erste Schluck schmerzt im Gaumen, aber danach steigt eine wunderbare Seligkeit auf, die eindrucksvoll zeigt, wie Genuss und Glück am Leid begreif- und erfahrbar werden. Wie Whisky just durch Jahre der Dunkelheit (in einem Fass) zum Genuss wird: Ist manches Leid ein Weg Gottes, der auch uns reif und genießbar macht?

Bewegende Publikumsreaktionen

Der „Abend der Dunkelheit“ versucht, mit fesselnder Dramaturgie und Whisky (alternativ Portwein) die Theodizeefrage der Rechtfertigung Gottes für jedermann aufzuschließen. Die Reaktionen sind berührend bis bewegend. Eine Mutter, die wenige Monate zuvor ihren Sohn bei einem Unfall verloren hatte, saß in der ersten Reihe. Sie sprang am Ende auf, kam auf Dirk Maass zu und nickte: „Alles, was ich heute Abend gehört habe, kann ich unterschreiben!“

Der „Abend der Dunkelheit“ gehört zu einer Reihe von sieben szenischen Abenden der Catech’eria. Unter dem Motto „Philosophie mit Genuss“ werden philosophische Themen aus christlicher Perspektive betrachtet. Das Themenspektrum aus Wahrheit, Freiheit, Leid, Jesus, Gebet, Trinität und Schönheit versucht, Bedenken oder Zweifel auszuräumen und die Weisheit des christlichen Glaubens herauszufinden. Jeder Abend hat eine eigene, thematisch passende Dramaturgie: zum Thema Leid eine Gerichtsverhandlung, zum Thema Schönheit eine Vernissage, zum Thema Jesus ein Diplomatenempfang. Die in den Pausen angebotenen Verkostungen dienen als Analogien, sollen das jeweilige Thema vertiefen, erklären, verankern.

Christentum reloaded

Zur Überraschung von Nicht-Christen, aber sicher auch zur Beruhigung von manchem Christen stellt sich der Glaube als durchaus sehr vernünftig dar, befreit sich vom Verdacht, eher etwas für schlichtere Gemüter zu sein. „Ich muss mich wieder mit dem Christentum beschäftigen!“, kommentieren die Besucher oft. Darum geht es Dirk Maass: dem Glauben eine „neue Chance“ zu geben, den Faden wieder aufzunehmen – um dann katechetische Angebote wie einen örtlichen Glaubenskurs wahrzunehmen.

Ist die Catech’eria Ersatz für Katechese? Nein, sie ist dafür eine Rampe. Ein Teilnehmer befand: „Die Abende sind angenehm unaufdringlich und doch überzeugend.“ Seit Corona gibt es alle Abende auch als Zoom-Videokonferenzen. Für die Verkostung kommen Verkostungsboxen zu den Teilnehmern bequem nach Hause. Ansonsten tritt man besonders gerne an gemütlichen Orten auf. In kleinem Rahmen kann das ein großzügiges Wohnzimmer sein. In größerem Rahmen kommt die Catech’eria z. B. in Firmen, urige Weinkeller oder Restaurants. Überall dort, wo Gemeinschaft und Genuss sich treffen.

Ein Katholik wird Muslim

Anstoß zur Catech’eria waren zwei Mitfahrer, die eines Tages bei Dirk Maass im Auto saßen: Eine junge Frau stellte sich als ehemaliges Mitglied der reformierten Kirchen vor und war gerade zum Buddhismus übergetreten. Ein junger Mann entpuppte sich als ehemaliger Katholik, der zum Islam konvertiert war. Nachdem Dirk Maass seine Sprachlosigkeit ob dieser erstaunlichen Wendungen, aber auch ob dieser Doppelbegegnung überwunden hatte, fragte er: „Was haben wir (Christen) versäumt?“ Beide gaben unisono dieselbe Antwort: „Ihr habt uns unsere Fragen nicht beantwortet!“ Das machte den langjährigen Mitarbeiter bei Alpha-Kursen und Genussmenschen Dirk Maass nachdenklich.

Es gelingt Christen im 21. Jh. offenbar immer weniger, auf Fragen rational schlüssige und überzeugende Antworten zu geben, wie z. B.: Was ist Wahrheit? Wie kann ein Mensch Gott sein? Wie kann ein liebender Gott Leid zulassen? Kann man Gott beweisen? Wie kann man sich (v. a. als Muslim!) die Dreifaltigkeit vorstellen, ohne in Polytheismus abzurutschen?

Solche Fragen sind Klassiker christlicher Philosophie und Apologetik. Weswegen sie auch regelmäßig auf die Flyer einschlägiger Vortragsveranstaltungen der Diözesen kommen. Nur die Besucher kommen kaum. Von zwei Millionen Menschen im Großraum Hamburg hatten sich zu einer Reihe von Veranstaltungen zu ähnlichen Fragen gerade mal sieben Besucher eingefunden, davon zwei aus dem Mitarbeiterkreis. „Es ist eine Katastrophe,“ räumte ein hoher Geistlicher ein, „wer die Schlagzeilen verfolgt, für den sind wir erledigt.“

Himmel und Erde auf dem Teller

Zur Zeit Jesu steckte das Judentum ebenfalls in einer Krise. Das hinderte Jesus kaum, denn er kehrte eh lieber in die Häuser der „Laien“ ein, lehrte und diskutierte dort beim gemeinsamen Mahl. Jesus verstand nicht erst beim letzten Abendmahl den gedeckten Tisch als Scharnier zwischen Materie und Geist, Immanenz und Transzendenz. Himmel und Erde treffen buchstäblich auf dem Teller zusammen, wie eine rheinische Spezialität namens „Himmel un Äd“ lecker verdeutlicht. Genuss als Offenbarungs-, Verständnis- und Erinnerungsweg. Gottes andauerndes Schöpferwort materialisiert sich in den Speisen, wird einverleibt, verstofflicht. Ein Gedanke, dem die Kommunion in der Transsubstantiation überraschend nahekommt.

Könnten angesichts von Kirchenskandalen und Ressentiments die Mahlgemeinschaft und der Genuss auch heute noch ein Ort bzw. Anlass sein, an dem Gott ins Gespräch kommen möchte? Lässt sich die in vielerlei Hinsicht sperrige christliche Botschaft im Angesicht eines guten Rotweins, eines rauchigen Whiskys oder einer köstlichen Tasse Tee besser verdauen? Und wird sie einprägsamer, wenn biblische Wahrheiten mit sinnlich erfahrbaren Analogien verknüpft und zu unvergesslichen Genusserlebnissen verkettet werden?

Prüfung von Wahrheitsansprüchen

Dirk Maass ist davon überzeugt, will diesen Ort und Moment des Zusammenseins mit neuem Leben füllen. Und zwar vor allem aus der Warte der Religionsphilosophie, der rationalen Prüfung von Wahrheitsansprüchen. Glaube muss sich heute auch vernünftig begründen und erklären lassen. Blinder Glaube und unreflektierte Dogmen stoßen auf Skepsis bis Ablehnung.

Die Catech’eria versteht sich als Angebot vor allem an kirchenverdrossene, ‑kritische und ‑ferne Menschen, die aus Enttäuschung bis Wut versuchen, ihren Glauben „extra ecclesiam“ (d. h. außerhalb der Kirche) fortzuleben. Bereits gläubige Teilnehmer möchte Dirk Maass für jene persönliche Rechenschaft zurüsten, von der Petrus spricht: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Denn wo die (Amts‑)​Kirche leidet und angefochten wird, können Laien mit Wort und Genuss zum fünften Evangelium, zu charismatischen Trägern seiner Weisheit, Schönheit und Lebenskraft werden.