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Empfangen und Erzählen

Praktiken der Glaubenskommunikation in der Spätmoderne

Dass sich die Situation der Glaubenskommunikation angesichts weitreichender Verschiebungen in der Bedeutung des Religiösen verändert, wird wohl niemand bestreiten. Aber wie eigentlich? Und inwiefern nähern sich die Praktiken der Glaubenskommunikation jener Bedeutungsverschiebung an? Der folgende Beitrag möchte zeigen, warum und inwiefern das Empfangen und das Erzählen die zentralen Praktiken der Glaubenskommunikation in der Spätmoderne sind.

Die Situation der Spätmoderne

In Andreas Reckwitz’ praxistheoretischem Ansatz zur Beschreibung einer „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz 2020) wäre Katechese ein geeignetes Beispiel, um zu erklären, was Reckwitz als „doing generality“ bezeichnet: Katechese könnte soziologisch betrachtet zunächst einmal als eine Verallgemeinerungspraktik gelten. Sie vermittelt einen Maßstab, an dem sich jede und jeder orientieren sollte, wenn sie oder er dazugehören will; sie bringt Normen, eine relevante Normativität für diejenigen hervor, die sich an einem von außen gesetzten und qualitätsgeprüften Standard orientieren wollen.

Eine solche Logik des Allgemeinen beschreibt Reckwitz als Merkmal der Frühmoderne. Er zeigt, dass zum Beispiel in der Rationalisierung industrieller Produktionsprozesse oder im Gebrauch eher gleichförmiger Güter in der Frühmoderne verstärkt das Allgemeine angestrebt wurde. So sei die alte Mittelstandsgesellschaft von einer „Normalisierung der Lebensformen geprägt“ (ebd. 277) gewesen. Man nennt sie in der Soziologie deshalb auch die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky). In der nivellierten Mittelstandsgesellschaft spielten der angemessene Lebensstandard, die angemessene Ressourcenausstattung, der angemessene Lebenskomfort im Abgleich mit der gängigen Norm, der Normalität der Anderen, eine gewichtige Rolle. Es liegt nahe, dass ein katechetisch-unterweisender Stil der Glaubenskommunikation in diese soziale Logik der Normalitätsproduktion hineinspielt und ihr insofern eine gesellschaftlich bedeutsame Rolle zugewiesen wird.

Spätestens seit den 1980er-Jahren macht Reckwitz nun allerdings eine Erosion dieser Mittelstandsgesellschaft aus. Im Zusammenhang seiner Großtheorie dominieren in der spätmodernen Gegenwart die Singularisierungspraktiken zunehmend das Soziale. So ist es eher die Logik des Besonderen, die gegenüber einer Logik des Allgemeinen wertgeschätzt wird. Beispielsweise verlangen die Social Media von uns, ein möglichst singuläres Profil zu erstellen, das weitgehend durch Besonderheiten gekennzeichnet ist. Oder: Die Produkte, die wir kaufen, vermitteln uns häufiger den Eindruck, einzigartig zu sein – bis dahin, dass sie „vereinzigartigt“ werden (z. B. in der „limited edition“) oder wir sie selbst konfigurieren können (wie das Shampoo, das wir im Produktdesigner einer Drogeriekette selbst designen). Das gleiche gilt für die Gestaltung von Zeiten, wie zum Beispiel dem Urlaub: Sie stehen zunehmend unter der Anforderung, etwas Singuläres, Besonderes zu sein.

An diesem Wendepunkt der Moderne gerät die Plausibilität von einer Art „katechetischem Stil“ der Glaubenskommunikation unter Druck. Denn bevorzugt werden im Großen und Ganzen eben nicht die Produktions- oder Reproduktionsschemen allgemeiner Normen, sondern die Hervorbringung des Singulären. Andererseits sind die Produktions- und Reproduktionsschemen allgemeiner Normen aber ein gewohnter und gelernter Überlebensraum institutioneller Existenzen, die entweder das Eingeübte hinter sich lassen oder Bedeutsamkeit einbüßen.

Empfangen oder unterweisen?

Glaubenskommunikation erfordert demnach heute mehr und anderes, als bloß methodische Zugänge zur Vermittlung sicher geglaubter Gewissheiten zu schaffen. Wenn es ihr darum geht, in ein Glaubensgespräch einzutreten, dann muss sie sich zunächst ins Empfangen einüben, bevor sie geben kann. Wer geben will, muss empfangen üben (vgl. Gödeke/​Müller 2019) – von diesem Grundsatz möchte ich ausgehen.

Empfangen kann nur, wer bereit ist, von einem Gegenüber zu lernen. Das macht es erforderlich, das einer klassischen Missionsvorstellung zugrundeliegende Defizienzparadigma (z. B.: die Säkularen leben in einem defizienten, einem unzulänglichen Modus der Welterschließung) durch ein Alteritätsparadigma (z. B.: die Säkularen leben in einem anderen Modus der Welterschließung) zu ersetzen (vgl. Tiefensee 2020). Erst auf Grundlage dieses Paradigmenwechsels kann überhaupt ein echter Dialog entstehen, der die Bedingung dafür ist, lernend Lebenserfahrungen miteinander zu teilen. Das heißt: Ein bestimmter einladender Gestus der Glaubenskommunikation steht in Frage.

Mit dem einladenden Gestus meine ich eine bestimmte Spielart von „Katechese“ – nämlich jene, die sich auf den Standpunkt einer Praxis der Unterweisung stellt. Wer Andere einlädt, um sie zu unterweisen, hat damit den Paradigmenwechsel vom Defizienz- zum Alteritätsparadigma nicht vollzogen. „Einladungen sind immer auch Erwartungen. Sie machen keine Angebote, sie sind immer irgendwie bedrängend, weil sie vereinnahmen“ (Sander 2014, 49), weshalb ein allzu voraussetzungsvolles „Herein-herein-wir-laden-alle-ein“ recht resonanzarm bleiben kann: Eine Kirche, die „die Menschen“ einlädt, vermittelt nicht bloß Offenheit, sondern eben auch Erwartungen.

Ein katechetischer Stil, der sich überwiegend in einem bestimmten einladenden Gestus ausdrückt, ist nicht alternativlos. Katechese wäre dann auf ihren Gehalt als Praktik der Unterweisung zu befragen, wenn sie sich als unverhältnismäßig erwartungsgeladenes Unterfangen entpuppte. Nicht die Katechese als Praxis, sondern ein katechetischer Stil, der mit Praktiken der Unterweisung agiert, würde dann zunehmend fraglich.

Unterweisen kann nur, wer sich in die Lage versetzt, von einem überlegenen Erkenntnisstandpunkt aus agieren zu können. Hinzu kommt: Wer unterweist, reproduziert Erkenntnisse, die sie oder er für relevant hält, um eine bestimmte Ordnung zu erhalten. Beides darf gegenwärtig als in Frage gestellt betrachtet werden. Sowohl ein überlegener Erkenntnisstandpunkt kirchlicher Repräsentantinnen und Repräsentanten als auch die regelhafte Reproduktion einer bestimmten kirchlich formatierten Ordnung des Sprechens von Gott werden nicht mehr selbstverständlich akzeptiert.

Stattdessen treten andere Praktiken, Praktiken des Empfangens, auf den Plan; sie werden heute zur Gelingensbedingung der Evangelisierung. Als prominentes Beispiel kann das allgemeine Direktorium für die Katechese zitiert werden: Evangelisierung greift ihm zufolge vor allem auf Entdeckungspraktiken zurück. So hält das Direktorium fest, dass die Kirche ihre Katechese von der Bereitschaft abhängig macht, „sich auf die Suche nach den Rufen der Wahrheit zu machen, die bereits in verschiedenem menschlichen Tun gegenwärtig werden, in dem Vertrauen, dass Gott geheimnisvoll im Herzen des Menschen wirkt, noch bevor dieser explizit vom Evangelium erreicht wird“ (Direktorium 50). Nicht zuerst die Unterweisung in der Wahrheit, sondern das Entdecken und Empfangen der Wahrheit im anderen Menschen ist demnach der erste Akt der Glaubenskommunikation: Eine „formale, auf die bloße Darlegung der Glaubenskonzepte beschränkte Verkündigung [eröffnet] kein eigentliches Glaubensverständnis“ (ebd. 56).

Erzählen oder reproduzieren?

Theologisch scharfgestellt führt die Priorisierung des Entdeckens und Empfangens in eine Reflexion über das Evangelium: Verspricht die Konfrontation mit dem Evangelium es, Singularitäten hervorzubringen, oder lässt Evangelium sich lediglich in normativen Formatierungen zu tradierender Glaubenswahrheiten fassen? Wenn auch anders gewendet – und doch so lesbar – widmet sich der Techniksoziologe Bruno Latour dieser Frage: Eine normative Formatierung versteht das Evangelium als Information; etwas Singuläres in der Konfrontation mit dem Evangelium zu erwarten, bedeutet, Evangelium als Ereignis begreifen zu können. An der Unterscheidung zwischen Evangelium als Information und Evangelium als Ereignis bricht die Unterscheidung zwischen katechetischem und evangelischem Stil der Glaubenskommunikation auf.

Mit dieser Unterscheidung lässt sich ein Teil des Relevanzverlusts des Kirchlich-Christlichen zumindest in den Gesellschaften, in denen Singularisierungspraktiken dominieren, erklären. Latour bezeichnet das zur Gewohnheit gewordene Übergehen der Differenz zwischen dem Informationsgehalt einer Nachricht und ihrer Wirksamkeit im Ereignis als Doppelklick-Kommunikation. Die Doppelklick-Kommunikation valorisiert die verallgemeinernde Information und kann damit als der kommunikative Ausdruck eines „doing generality“ betrachtet werden.

Im Gewand der Doppelklick-Kommunikation wird für Latour religiöse Rede zur Qual, wenn sie den unmittelbaren und kostenlosen Zugriff auf Informationen anbietet, die kommunikativ vermittelt werden. Ideal der Doppelklick-Kommunikation sei die Informationsweitergabe auf der Ebene von Modellen der Wirklichkeit (vgl. Latour 2016, 36). Wie bei einem Doppelklick mit einer Computermaus verlangen wir den sofortigen Zugriff auf den Inhalt des angewählten Ordners bzw. der relevanten, dienlichen Information, wie Latour etwas ironisch erklärt: „Ausgehend von einer vollkommen exakten Erfahrung […] wird uns dieser Böse Geist [das Ideal der Doppelklick-Kommunikation; A. B.] ins Ohr flüstern, es sei besser, über einen kostenlosen, unbestreitbaren und unmittelbaren Zugang zur Information – rein und ohne Transformation – zu verfügen“ (Latour 2018, 151). Die Information vermittelt ein sich unmittelbar plausibilisierendes Modell von Wirklichkeit im Idiom der Doppelklick-Kommunikation (vgl. Altmeyer 2016): „Indem dieser Böse Geist vorgibt, allen Formen des Wahrsprechens ein einziges und unzugängliches Modell zu geben […], versucht er, alle anderen Unterscheidungen des Wahren vom Falschen im Kontrast als willkürlich und irrational hinzustellen“ (Latour 2018, 152). Das Ideal der Doppelklick-Kommunikation führe daher in einen Kampf gegen den Relativismus und würde im Zuge dessen jede Alternative zum eigenen Wahrsprechen zu beseitigen versuchen.

Nicht-informierende Kommunikation wird im Zuge dessen verdrängt, verliert ihre Relevanz und ihre Plausibilität. Und Religion bzw. Religiosität als reiner Zugriff auf ein Informationssystem verliert ihre entscheidende Wirkung, also: Welche Information transportiert der Gang Jesu über den See Genezareth? Worüber setzt die Passionsgeschichte in Kenntnis, wenn sie bar jeder Transformation gelesen wird? – oder andersherum: Werden Christinnen und Christen fähiger, von ihrem Glauben zu sprechen, wenn sie sachkundiger werden? Die karikierenden Fragen sollen zeigen: Glaubenskommunikation wird unterbestimmt, wenn sie sich auf informierende Elemente beschränkt. Damit sie gelingen kann, fehlt etwas, das den Informationsgehalt der Botschaft erst eröffnet bzw. das den Informationsgehalt in ein rechtes Licht rückt und ihm insofern vorgängig ist: „Das Problem ist, wie die Worte ausgesprochen werden: im Modus der Information, die Distanz schafft, oder im Modus der Beziehung, die Nähe zulässt?“ (Altmeyer 2016, 82).

An dieser Stelle wird verständlich, was das Problem eines eingeübten katechetischen Stils der Glaubenskommunikation ist: Sie kommt aus einer Zeit und Situation, in der die Verallgemeinerung des Glaubens bzw. das informierende Sprachspiel über den Glauben weitläufig anerkannt und geschätzt war, weil er einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft normative Orientierung verleihen konnte. In der Gesellschaft der Singularitäten bleibt unterweisende Glaubenskommunikation im Stil des Doppelklicks resonanzlos, wenn und weil eine allgemeine normative Orientierung im Bereich des Religiösen schlicht nicht mehr gefragt ist.

Allerdings gibt es gewaltige Potenziale der religiösen Rede zu heben, wenn diese nicht als Kommunikation eines Informationssystems praktiziert wird. Latour verweist auf die Sprengkraft im Irritationspotenzial religiöser Rede. Denn religiöse Rede sei, so formuliert er provokant, Lüge. Sie zeichnet sich gerade dadurch aus, vom informierenden Sprachspiel abzusehen, sie ist Metapher auf ein Geschehen, das sich dem informierenden Zugriff entzieht, sie weicht ab vom gängigen Muster objektivierend-deskriptiver Wahrnehmungen. Erst die Dechiffrierung der Logik dieses Sprachspiels eröffnet den Zugang zur Wahrheit religiöser Rede: Sie „funktioniert“ nur jeweils singulär, im Einzelnen.

Deshalb braucht ein evangelischer Stil der Glaubenskommunikation mehr als bloß Vermittlerinnen und Vermittler. Er braucht Zeuginnen und Zeugen. Allerdings nicht forensische Zeuginnen und Zeugen, also solche, die vor Gericht stehend objektiv beschreiben, wie ein Sachverhalt sich zugetragen hat (das wäre ein informierendes Sprachspiel), sondern Zeuginnen und Zeugen, die jene Sprengkraft des Evangeliums zeugen, ans Licht bringen, gebären. Die Zeugin oder der Zeuge in diesem Sinne ist jemand, die oder der mit etwas Neuem beginnt.

Die Evangelisten selbst sind solche Zeugen, sofern sie von Jesusbegegnungen bzw. Episoden aus dem Leben Jesu von Nazareth als des Christus erzählen. Natürlich tragen sie eher zusammen, als dass sie unmittelbar selbst erzählen, das hat die historisch-kritische Forschung gezeigt. Aber schon in ihrer Auswahl und Anordnung von Texten und Fragmenten steckt auch ihre Erzählung ihrer Begegnung mit dem Christus. Und von dieser Begegnung gilt es, weiter zu erzählen – im unbefangen-elaborierenden Erzählen von (Gnaden- und Heils‑)​Ereignissen. In der Folge wären es weniger systematische Referenzpunkte, die entscheidend für die Glaubenskommunikation sind, und es käme vielmehr darauf an, das Evangelium des eigenen Lebens, der eigenen Berufung und Gottesbegegnung zu erzählen.

Evangelium als Text und als Beginn von etwas Neuem

Das Evangelium bleibt dabei natürlich auch als Text die Offenbarung, die Sichtbarmachung jenes verheißungsvollen Beginns von etwas wirklich Neuem, das am Ende gut ist. Es ist die Ur‑Kunde christlichen Glaubens (vgl. Reuter 2019).

Am besten lässt es sich anhand einzelner Episoden andeuten, wo und wie Evangelium als Beginn von etwas Neuem geschieht: So kann beispielsweise eine blutflüssige Frau geheilt werden, weil sie an etwas glaubt, über das wir nichts Weiteres wissen. Ein Zöllner kann sein Refugium, einen Maulbeerfeigenbaum, verlassen und sich resozialisieren. Ein blinder Bettler kann wieder sehen und sich der Jesus-Bewegung anschließen. Für alle drei sind dies tief einschneidende Momente eines Neuanfangs. Das macht diese Momente evangelisch, zu einer (erzählenswerten) Frohbotschaft. Der jesuanische Stil zeigt sich als eine Art Eröffnung oder Zulassung: Du darfst deinem Leben trauen (vgl. Theobald 2018). Das ist das Evangelium, die Frohbotschaft von, sprich: durch Jesus von Nazareth, an die anzuknüpfen einen evangelischen Stil der Glaubenskommunikation begründet. Auf diese Weise ereignet sich Evangelium als Beginn von etwas Neuem.

Diese Ereignisse gibt es auch heute. Und von solchen Ereignissen berichten die vier Evangelien. Besonders diese zeigen: Entscheidend ist die Wirksamkeit jener Worte und Taten des Nazaräers, die ihn als den Christus glaubwürdig machen; die gute Nachricht erweist sich dadurch als solche, dass sie wirksam ist und etwas verändert. Das textliche Zeugnis ist zunächst das Produkt jener Wirksamkeit, von der es schwerfällt, nicht zu reden. Als Gestalt des Protoevangeliums lässt sich dann die einer maßlosen Güte, „des radikalen Gutseins“ (Theobald 2018, 61), ausmachen.

In diesem Sinne kann vom Evangelium nicht so gesprochen werden, als sei es ein Drittes, etwas, das im Gegenüber zu implementieren wäre. Es ist nicht in erster Linie Information über den richtigen Weg des Glaubens, ihm entspricht dann kein „doing generality“, das den Text auf einen normativen Gehalt reduziert. Vielmehr rekonstruiert der Text neue Hoffnungspfade.

Das klingt zunächst paradox, ist es aber eigentlich nicht – zumindest dann nicht, wenn ernst genommen wird, dass Gott sich gegenüber jedem Menschen immer schon selbst mitgeteilt hat. Das Evangelium als Text ist dann ein Hilfsmittel vergleichbar mit der Legende zu einer Karte: Wie erst die Legende zu einer Karte den richtigen Weg aufzuschlüsseln vermag, ist das Evangelium der je singulär anzuwendende Zeichen-Schlüssel, der darauf schließen lässt, dass es sich zu leben lohnt. Jeweils singulär ist dieser Schlüssel auch deshalb, weil wie bei der Legende nicht jedes Symbol und jedes Zeichen den je einzigartig zu beschreitenden Lebensweg erschließt.

Nur im Zusammenspiel des Textes mit vorfindbarem (diskretem) Glauben, ausdrücklichem oder unausgedrücktem Vertrauen, lässt sich die Relevanz des Evangeliums behaupten. Verkündigung, Glaubenskommunikation, Sprechen von Gott brauchen beide Elemente: den ganz menschlichen Glauben, das Vertrauen auf eine maßlose Güte, die mich am Leben hält, und das gesprochene Wort, das diesen Glauben besonders dann lichtet, wenn er in den Ereignissen zwischen unserem Alltagsleben zu Tage tritt oder einfach gerade dringend benötigt wird.

Empfangen und erzählen

Das bedeutet, dass der evangelische Stil der Glaubenskommunikation nur einem eher begrenzt planbaren Vollzug entspricht. Wenn es um etwas geht, das schon da ist, dann gilt hier: Wer geben will, muss empfangen üben. Sprich: Es ist nicht damit zu rechnen, dass das wirksame Wort des Glaubens in einem einfachen Sinne von mir ausgeht. Vielmehr ist Glaubenskommunikation ein gegenseitiges Mit‑Teilen, in dem es darum geht, Glauben zu re‑formulieren (vgl. Schönemann 2012, 7).

Es geht also um einen Entdeckungsvollzug: die Entdeckung er- und gelebten Glaubens, aus dem heraus und über den gesprochen werden kann. Man könnte etwas spitz formulieren: Nicht zuerst die Content-Creators der Social-Media-Plattformen, sondern die Evangelisten zeigen, wie Glaubenskommunikation gelingt. Die Evangelisten stehen für genau das: die überraschenden Episoden wirksamer Gottesworte (und ‑taten) zu sammeln und der Gemeinde zusammenhängend vorzustellen. Ein evangelischer Stil der Glaubenskommunikation orientiert sich an diesem Vorbild. Sein Ziel ist es weniger, Kommunikation auf Ebene des informativen Ausdrucks zu perfektionieren, und eher, von überraschenden Ereignissen sich erweisender Güte zu erzählen.

Solches Erzählen setzt das Empfangen voraus. Es sind diese beiden Praktiken, um die sich der zurückliegende Gedankengang dreht. Um es mit der Zeitanalyse von Andreas Reckwitz zu verbinden: Waren frühmodern valorisierte Praktiken der Glaubenskommunikation eher Unterweisen, Reproduzieren und Formatieren, so könnten sie heute Empfangen und Erzählen sein.