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LebensRaum Kirche

Sankt Augustin, Oktober 2010

Erste Planungen des Erneuerungsbaus des Einkaufszentrums in unserer Stadt liefen an. Schon zu dem Zeitpunkt schwärmte der damalige verantwortliche Architekt im Gespräch mit uns vom zukünftigen Erscheinungsbild der kommenden neuen „Urbanen Mitte“: Man würde schließlich heute keine Asphaltmeere mehr gießen, es würde stattdessen auf geringerer Grundfläche mehr Verkaufs- und Aktionsfläche entstehen, auch für städtische nicht-kommerzielle Akteure, es würde mehr Parkplätze in zwei Parkhäusern geben und dazu auch noch einen großzügigen grünen Park. Kaum zu glauben, aber vieles davon wurde tatsächlich realisiert. Nicht zu erahnen war seinerzeit, dass das oberste Parkdeck, frei unter der Sonne und mit Fernsicht, in verschiedener Hinsicht attraktiv sein würde, auch in ganz unerwarteter kreativer Weise.

Wir haben uns schon zu diesem frühen Zeitpunkt für Möglichkeiten der Beteiligung und Präsenz kirchlicher Aktivität und Beiträge entschieden, zunächst mit wenigen Akteuren aus den evangelischen und katholischen Gemeinden der Stadt, dann auch unter breiterer Beteiligung von Engagierten aus den Kirchengemeinden. Wichtig war, in Kontakt mit der Politik vor Ort und den Inhabern des Centers zu treten, sich zu zeigen, verbindlich und interessiert aufzutreten – und auch Durststrecken und Kommunikationslücken auszuhalten. Immer wieder mal nachzufragen. Wir sind uns bewusst, dass wir die Möglichkeiten, die sich uns später konkret eröffneten, vielen Verantwortlichen zu verdanken haben, die uns und unserem Vorhaben sehr wohlwollend gegenüberstanden und noch ‑stehen. Selbstverständlich sind wir dann auch gern bei Spatenstich, Teileröffnung und Haupteröffnung der neuen huma Shoppingwelt präsent gewesen – dann sogar schon in der lang beratenen und entwickelten Form des eigens gegründeten gemeinnützigen Vereins LebensRaum Kirche.

Beobachtungen dieser ersten Phase

Es ist gut, Ideen zu spinnen, groß zu planen, vieles anzudenken – und dabei auch einzupreisen, dass aus den meisten der Ideen vielleicht nichts werden kann (auch wenn ich der damaligen großartigen Idee eines achteckigen Kapellenbaus im ursprünglichen Architektenentwurf viel abgewinnen konnte). Und dass Vorgaben, Erwartungen und Leitplanken aus den etablierten Gemeinden vor Ort nicht unbedingt weiterführen würden – diese Erkenntnis war erfreulicherweise auch in unserer Stadt weit verbreitet. Um uns zu erden und von Erfahrungen anderer zu profitieren, sind wir seinerzeit auf Erkundungsexkursion in das Kirchenzentrum am Centro Oberhausen gegangen. Es war schnell klar, dass wir nicht in dieser Größenordnung aus lokaler Kraft einen vergleichbaren Aufwand wie dort betreiben könnten – und doch gab es von deren Erfahrungen viel Hilfreiches zu lernen. Wir mussten aber vor Ort unsere Möglichkeiten ausloten und unser Angebot/​unsere Antwort auf den Bedarf und die Fragen vor Ort entwickeln.

In der Erfahrung der uns (mietfrei) angebotenen Fläche stellten wir zum Beispiel fest, dass ein Kapellenraum (als Raum in unserem Raum) aufgrund der örtlichen Geräuschkulisse gar nicht in Frage kommen würde – und das war gut so. Wir näherten uns der Erkenntnis an, dass dafür an unserer Stelle in der Mall auch wahrscheinlich gar kein Bedarf sein würde. Dagegen waren aber viele andere Antworten und Möglichkeiten auch für spirituell Suchende möglich, und diesen versuchten und versuchen wir immer noch nachzugehen.

Fundamental wichtig war die professionelle Planung in Workshops mit den in diesem Projekt Engagierten unter Begleitung von Ursula Hahmann (XIQIT, Aachen) zur Entwicklung von Marke und Mission, unter anderem mit der „Ecclesiopreneurship Canvas“. Die konkrete Arbeit und Präsenz im Raum und im Center eröffneten neue Perspektiven.

Unsere Auftragsformulierung

Der gemeinnützige Verein, der als ökumenischer Trägerverein konzipiert und gegründet wurde, will den Gästen der huma Shoppingwelt einen Ort der Begegnung, des Innehaltens und Nachdenkens, zum Orientieren und Auftanken anbieten. Wir hören zu, geben Impulse, stärken den sozialen Zusammenhalt in unserer Region, wecken die Sehnsucht nach „mehr“ (Sinn – Gott – Tiefe). Menschen jeden Alters und aus allen gesellschaftlichen Bereichen, Kulturen und Religionen sind uns selbstverständlich willkommen.

Die verlässliche Unterstützung der Kirchengemeinden der Stadt, die Initialförderung des Kirchenkreises an Sieg und Rhein sowie des Erzbistums Köln und die Förderung durch verschiedene Stiftungen ermöglichte es, für die Grundgestaltung des Begegnungsraumes und der integrierten Themeninteraktion mit Dorle und Michael Schmidt (studio komplementaer, Köln) erfahrene Partner für die Umsetzung und Entwicklung in Zusammenarbeit beauftragen zu können.

huma Shoppingwelt, Oktober 2020

Nach etwas mehr als einem guten Jahr mit Unterbrechungen, Wechseln und nicht zuletzt einer aufblühenden Pandemie planten wir mutig eine besondere Veranstaltung auf jener obersten zugänglichen Fläche der neuen Urbanen Mitte. Doch frei nach Gertrude Stein: Ein Parkdeck ist ein Parkdeck ist ein Parkdeck … oder kann es vielleicht doch ein Ort mit spirituellem Potential sein? Wenn dort Markierungen, Vorbereitungen, Leitungen, Zelte, Stühle, eine Musikanlage, Lichtgestaltung, ein mobiles Catering, viel Ambiente und noch mehr Herz eingesetzt werden? Zunächst aber müssen die Hürden eines Bauantrages genommen werden – diese Erfahrung haben in der Coronazeit Menschen in einigen Städten in Deutschland gemacht, als sie angeregt durch die Notwendigkeit von Veranstaltungsformaten draußen statt drinnen nach alternativen und vielleicht auch witterungsvorteilhaften Orten gesucht haben. Manchmal einfacher, manchmal schwerer, wurde es aber doch möglich gemacht.

Unsere Idee, das Parkdeck für etwas anderes als das Abstellen von Autos zu nutzen, war aber schon älter. Sie wurde jedoch durch die Umstände der Pandemie zu einer besonderen und situativ günstigen Projektidee. Doch auf den letzten Metern der Vorbereitung ließen uns die seinerzeit steigenden Infektionszahlen zunächst doch noch einmal die Notbremse ziehen.

Im Juli 2021 und danach nochmal im Oktober konnten wir dann endlich den Versuchsballon steigen lassen. Für viele Besucher*innen war es nach langen Monaten die erste Präsenzveranstaltung dieser Größenordnung, und dann auch noch an einem völlig neuen Ort. „Halb acht auf P8“ heißt dieses Format – kurz und knapp werden im Kontext der Shoppingwelt so präzise Uhrzeit und Treffpunkt angegeben. Der einer Parkscheibe nachempfundene Flyer nimmt spielerisch die ungewöhnliche Umgebung auf: ein Parkdeck mit Aussicht – den Norden hinauf bis zum Kölner Dom, an der Seite die Abtei auf dem Michaelsberg, nach Süden das Siebengebirge. Viel Platz für die „HimmelsZeltKapelle“ als Mitte und spirituelle Bühne, für Abstände zwischen Stühlen und auch Raum für zwanglose Begegnungen mit Abstand und frischer Luft, ob an den Themeninteraktionsobjekten oder an der mobilen WandelBAR der beteiligten Eventagentur (maimaldrei, Sankt Augustin) mit Getränk oder Snack. Poesie und Predigt, Nachdenkliches, neue Zugänge zu Leben und Glauben, gute Musik und auch etwas Gutes für den Leib – das waren die Zutaten für gelungene Abende zwischen Himmel und Erde. Das befreiende Gefühl in gelöster Stimmung trotz Pandemie an dem höchsten Punkt der Stadt, an dem man sich in dieser Art versammeln könnte, konnte man erhoffen, aber nicht vorplanen – auch nicht den wunderbaren milden Sommerabend und den ebenso wunderbaren Herbstabend. Die Auswahl des passenden Musik-Acts war eine schöne Gelegenheit, Neues auszuprobieren und auch bisher Ungewohntes zusammenzubringen. Und manchmal ergibt sich auch ganz unerwartet eine gute Gelegenheit: Für den Popchor und die Band des naheliegenden Rhein-Sieg-Gymnasiums war es der erste öffentliche Auftritt nach den strengen Einschränkungen der Pandemie – ein sehr befreiendes Erleben, das auch viele Familien mitfeiern wollten.

Beobachtungen dieser zweiten Phase

Auch wenn wir in den Monaten vor dem Beginn der Pandemie guten Besuch zu unseren noch eingeschränkten Öffnungszeiten und spannende Querschnitte in Alter, Interessen und Verweildauer der Besucher*innen feststellen konnten, so war es doch insgesamt ein wichtiger Schritt, auch aus dem Raum herauszugehen und mobil zu werden. Aktionen in der Mall oder im Park haben uns mit anderen Menschen und zu ganz anderen Themen in Kontakt gebracht. Themeninteraktionen und Impulse können auch mit leichten, mobilen Objekten umgesetzt und angeboten werden. Der feste Raum, die Kooperationspartner und die Erfahrungen als (kleiner) „Player“ im Center haben uns leicht Möglichkeiten eröffnet. Allerdings bleibt der logistische Aufwand eine Herausforderung. Mehr als in den festen vier Wänden ist das Angebot den Witterungsbedingungen und den Dynamiken in der Stadt und der Shoppingwelt ausgesetzt. Es ist jeweils zu kalkulieren, ob der Aufwand geleistet und gerechtfertigt werden kann. Wir können aber feststellen, dass ein Investment an dieser Stelle lohnend und anregend sein kann und die Reichweite unserer Botschaft und unseres Angebotes vergrößert. Trotzdem bleibt besonders in der Zeit der Pandemie die Herausforderung, neue Engagierte zu finden für das beständige, aber von Einschränkungen betroffene Angebot im Raum wie auch für Aktionen.

Nach einem guten Jahr im Center konnten wir im Februar 2020 – unter Coronabedingungen kaum vorstellbar – mit den Engagierten und Gästen, unter anderem dem damaligen Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und einem Weihbischof des Erzbistums Köln, im LebensRaum Kirche Gottesdienst feiern. Es war eindrucksvoll, die Erlebnisse, die Erfahrungen und die Gemeinschaft zu feiern. Die pandemiegeprägte Zeit danach erscheint in mancher Hinsicht durch die Kontaktbeschränkungen, durch Schließungen, durch die große Zurückhaltung der Menschen, sich in Räumen wie unseren aufzuhalten, wie ein partieller Stillstand oder wie ein Treten auf der Stelle, manchmal einfach auch wie gähnende Leere.

LebensRaum Kirche, Frühjahr 2022 (erzählerisches „Jetzt“)

Die Pandemie klingt aus, die Masken fallen, vieles scheint leichter zu werden. Doch andere Krisen bestimmen die Nachrichten, und auch im lokalen Bereich sind Veränderungen und Belastungen nicht zuletzt für die Shoppingwelt gegeben. Wirtschaftliche Entwicklungen haben Einfluss auf Besucher*innenströme und ‑verhalten. Unsere Öffnungszeiten werden flexibler gehandhabt und wieder ausgedehnt, die ganz frühe Perspektive von ausgedehnterer Präsenz und Ausbau in vielen Richtungen scheint wieder greifbar. Vorsichtige Schritte werden möglich. Die etablierten und neue Veranstaltungen in der Mall sowie Beteiligungen an Aktionen im Center können verfolgt werden. Besondere Gelegenheiten, die sich ergeben, können dank der Erfahrungen und der vorhandenen Grundstruktur genutzt werden. Unser vielleicht größtes bisheriges Projekt wird ein geplanter Pop-up-Store: Ein kurzfristiger Leerstand im Center ermöglicht uns in einem Ladenlokal thematische Ausstellungen. Mit Inventarelementen aus dem LebensRaum, den Engagierten aus den Öffnungszeiten und Aktionen sowie mit besonderen und außergewöhnlichen neuen Elementen wollen wir Neues erproben, Menschen ansprechen und Neugierde wecken. Wir sind gespannt, wer alles bei uns „hineinschnuppert“, ins Gespräch kommt und Resonanz zeigen wird. Die bisherigen Kooperationen mit Vereinen und Institutionen in der Nutzung des Raumes sowie in Veranstaltungen sollen intensiviert werden.

Beobachtungen dieser dritten Phase

Die neuen Aspekte unseres Engagements und unserer Präsenz in der Urbanen Mitte entsprechen unserem ersten Konzept und entfalten es weiter. Nach wie vor wollen wir vielfältig dort gegenwärtig sein, wo Menschen in der Stadt unterwegs sind, sich bewegen zwischen Ärzten, Ämtern und Kultur, in Freizeit und in Besorgungen des alltäglichen oder erweiterten Bedarfes – wo das Leben pulsiert. Hinschauen und hinhören, ansprechbar sein kann an vielen Orten und in verschiedenen Formaten gelingen. Zum Ausruhen einladen, Begegnung ermöglichen, zuhören und auch Impulse geben findet auch in dieser Zeit Resonanz. Allerdings braucht es manchmal langen Atem, um Durststrecken in Veränderungen und Unsicherheiten auszuhalten. Unsere Strukturen in der Organisation und mit den Engagierten haben sich auch unter diesen Belastungen als tragfähig erwiesen. Weiter halten wir unser Angebot vor, mitten in der Stadt, außerhalb eines Kirchengebäudes, mitten unter den Menschen und nahe an ihrem Alltag die Chance zu eröffnen, den Fragen des Lebens nachzugehen und Gott im Alltag, aber auch in Unterbrechungen zu entdecken und zu begegnen. Und nicht nur in unserem Raum, sondern an anderen Stellen. Weiter sammeln wir Erfahrungen und lernen als besonderer Akteur in der Stadtgesellschaft, im Center und im Veranstaltungsbereich.

LebensRaum Kirche, huma Shoppingwelt und in Sankt Augustin, Oktober 2022 (Zukunftsvision)

Viele Projekte verstetigen sich auch nach den Testphasen: Immer wieder gibt es kurze Gelegenheit für einen Pop-up-Store oder eine ähnliche Form von sichtbarer und längerer Präsenz im öffentlichen Raum; der LebensRaum Kirche behält seine einladende, ästhetisch abgestimmte und wechselnd thematische Grundform, erfährt aber eine dynamische und flexiblere Raumgestaltung; regelmäßig werden Aktionen in Flächen geplant und umgesetzt; das Parkdeck P8 (oder in der Schlechtwetteralternative P7) wird häufiger genutzt; Aktionszeiträume, Orte und Akteure, von denen wir noch gar nicht wissen, werden in weiteren Testphasen und kurz- wie langfristigen Kooperationen ins Spiel gebracht; fast vier Jahre ist der besondere, nicht kommerzielle Begegnungsraum nun ein Teil des Centers, aber gefühlt waren es vielleicht nur effektive zwei Jahre; eine in frühen Planungen so genannte Pionierphase ist durch die äußeren Bedingungen und auch aus innerer Dynamik noch nicht zu Ende – vielleicht wird sie das aber auch nie sein, und das ist auch gut so.