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Kommunikationsstrukturen, die lokaler Kirchenentwicklung dienen

Was die Kir­che zu sa­gen hat, kommt nur noch bei we­ni­gen an. Doch liegt das nur an ei­nem un­ver­ständ­li­chen und jar­gon­haf­ten Sprach­stil? Um den Glau­ben heu­te zu be­zeu­gen und die Pas­to­ral im Sin­ne des Do­ku­ments „Ge­mein­sam Kir­che sein“ zu er­neu­ern, braucht die Kir­che auch ein ver­än­der­tes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­ständ­nis und neue Kommunikations­strukturen, meint Katrin Gal­le­gos Sán­chez.

„Seht dem Volk aufs Maul und fragt nicht den lateinischen Buchstaben, wie ihr ihn übersetzen sollt, dann verstehen die Leute, dass man deutsch mit ih­nen spricht. “ So hat Martin Luther seine Bibel­über­setzung verteidigt. 500 Jahre später postet Erik Flügge an die Theologen seiner Zeit: „Wenn man mit euch ein Bier trinkt, dann klingt ihr ganz normal. Sobald ihr für eure Kirche sprecht, klingt’s plötzlich scheiße“ (Flügge 2016, 10). Beiden gemein sind zwei Dinge: (1) Das Anliegen der Botschaft, für die Kirche steht, zur besseren Wirkung zu verhelfen. (2) Die Kommunikationswege erfahren in der Zeit, in die sie hinein­wirken, eine radikale Transformation: Seinerzeit der Buch­druck, heute das Internet krempeln die Gesellschaft um. Diese verändert sich schneller als die sie verwaltenden Institutionen, deren Strukturen auf älte­ren Kommunikationssystemen basieren. Wissen, Glauben, Wirt­schaft, Bil­dung sind sowohl Quellen als auch Ergebnisse von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zes­­sen. Deshalb erlebt auch die Katholische Kirche zu Beginn des 21. Jahrhun­derts, wie schon 500 Jahre zuvor, eine Transformation.

Im deutschsprachigen Raum wird diese Veränderung heute festgemacht an der verlorengegangenen Volksfrömmigkeit, am SeelsorgerInnen-Man­­gel, an einer starken Milieuverengung kirchlicher Kreise. Hinzu kom­men zwei Grundsatzentscheidungen im Bereich der DBK, die seit einigen Jahren mehr oder weniger konsequent in den Bistümern umge­setzt werden: (1) Die Vergrößerung territorialer Seelsorgeräume. (2) Die Erneuerung der Pastoral seit dem Bischofswort „Gemeinsam Kirche sein“. Damit verbunden sind Anstrengungen, lokale Kirchen­ent­wick­lung aktiv voranzutreiben. Das bedeutet, es soll aus der intensiven Beschäftigung mit der Heiligen Schrift Gemeinschaft entstehen; diese orientiert sich sozialräumlich und nicht territorial. Dafür setzen die deutschen Bischöfe auf Partizipation und Charismenorientierung (vgl. Sekretariat der Deut­schen Bischofskonferenz 2015, 53 f.).

Offen ist derzeit, wie in einer hierarchisch und territorial strukturierten Kirche Charismenorientierung, Partizipation, sozialräumliche Orientie­rung und nach Jahrhunderten der spirituellen und dogmatischen Bevor­mundung durch das kirchliche Lehramt auch Taufwürde als Handlungs­antrieb (wieder) gelernt werden. Nur den „Jargon der Betroffenheit“ ge­gen einen neuen Verkündigungsstil zu tauschen, verfängt nicht. Denn dieser ist Ergebnis des kirchlichen Kommunikationsverständnisses. Es drückt sich in der kirchlichen Rechtssetzung aus und wird dadurch nor­­miert. Im Folgenden soll ein Blick hierauf die kirchenrechtlichen Hinter­gründe beleuchten. Davon ausgehend zeigen einige Vorschläge, in wel­che Richtung Veränderungen insbesondere auf Bistumsebene möglich und angezeigt sind, damit die angezielte Erneuerung der Pastoral ge­lingt.

Regeln helfen

Kirchenrecht irritiere, stellt Matthias Sellmann fest, als er fragt, wie Kir­che Partizipation lerne (vgl. Sellmann 2016, 414–416). Normen sind gleichwohl wichtig, denn jegliche Kommunikation unterliegt Regeln. Sie bilden einen Rahmen, der z. B. den Informationsaustausch in einer Ge­meinschaft kanalisiert, vor Willkür schützt und Sicherheit verleiht. In Konfliktsituationen können sie helfen, indem sie Zuständigkeiten, Kom­munikationswege und Handlungsoptionen festlegen. Das gilt grund­sätz­lich, und es gilt auch für die Kommunikation in der Kirche. Zwar mag es manchem verlockend erscheinen, das Kirchenrecht abzu­schaffen und durch die augustinische Anweisung: „Liebe und tue, was du willst!“, zu ersetzen. Doch diese ist nicht justiziabel. Regeln müssen so gesetzt sein, dass sie sich umsetzen und durchsetzen lassen. Sie zählen zu den harten Faktoren im Kommunikationsgeschehen.

Darüber hinaus gibt es weiche Faktoren. Dazu zählen z.B. Sympathie, Vor­wissen, konkrete Kommunikationssituation, Milieu und Grundhal­tung. Diese Faktoren lassen sich schlecht messen oder anordnen. An ihnen aber hängt vielfach das Gelingen von Kommunikationsprozessen. Damit zeigt sich ein Dilemma: Kommunikation braucht Regeln, doch Gesetze können wesentliche Teile des Kommunikationsprozesses nicht garantieren. Demnach ist eine rein rechtliche Strategie zur Umsetzung von Kommunikationsformen, die der lokalen Kirchenentwicklung in großen Seelsorgeräumen hilft, nicht möglich. Der „fundamentale Blick­wechsel“ (Hennecke 2014, 11), den es dafür braucht, ist aber auch nicht ohne Normen zu gewinnen.

Macht und Herrschaft

Kommunikation ist Macht, schrieb Wolfgang Langbucher, und Macht passt nicht zu einer Kirche, die sich vom Autoritätsgebaren einer Volks­kirche verabschiedet. Oder doch? Flügges Analyse vom Verrecken der Kirche an ihrer Sprache verstehe ich dahingehend, dass Kirche ihre Macht zur Verkündigung nicht nutzt. Macht ist dabei im Weber’schen Sinne als jegliche Möglichkeit des Wirkens zu verstehen. Es braucht die Macht des Wortes. Nichts anderes bekennt die Kirche seit ihrer Grün­dung. Schließlich ist es „das Wort“, mit dem alles angefangen hat (Joh 1,1). Obwohl das kirchliche Amt als Dienst am Wort bezeichnet wird, ist es als Herrschaft konzipiert. Herrschaft wird mit Max Weber als Chance auf Gehorsam gegenüber einem Befehl definiert. Damit unterscheidet sie sich von Macht. Wer überzeugend spricht, hat Macht. Wer die Kom­mu­nikationsinhalte und ‑prozesse qua Amt kontrolliert, übt Herrschaft aus (vgl. Gallegos Sánchez 2015, 112–115). Blickt man auf die Kommu­nikationsstrukturen der Kirche, wie sie sich aktuell aus dem Gesetzbuch der Kirche ableiten lassen, zeigt sich, dass die Selbstwirksamkeit des Wortes kaum Raum hat. Kommunikation ist vor allem als Instrument geregelt, das die hierarchische Herrschaft stützt.

Zwei Indizien mögen im Folgenden genügen, um dies exemplarisch zu illustrieren (ausführlicher vgl. Gallegos Sánchez 2015, 279–322). Sie zeigen unter welchen Voraussetzungen die deutschen Bischöfe eine „Än­derung der Mentalität“ beschreiben und fordern (vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2015, 39–41).

Erstes Indiz: Credenda sunt – was zu glauben ist, wird vorgeschrieben
In jenen Bereichen, welche die Verkündigung und die Glaubensinhalte betreffen, fordert der Gesetzgeber sehr eindeutige Reaktionen von den Gläubigen; im Bereich der Organisationskommunikation regelt er dage­gen sehr wenig.

Can. 750 § 1 definiert: Zu glauben ist, was die Hirten der Kirche an Glau­bensgut vorlegen. Das minimiert den Spielraum für eine Antwort des Glaubens aus einer persönlichen Gotteserfahrung. Wenn Glauben als Haltung die adäquate Antwort des Menschen auf eine Berührung durch Gott ist, fragt sich, ob die innere Regung äußerlich reglementiert werden kann.

Entgegengesetzt ist der Befund im Rahmen der Organisationskommuni­kation, also jener Kommunikation, die die Kirche als Institution leistet. Das betrifft z. B. Verwaltungsvorschriften, Beschwerdeordnungen, Kon­fliktmanagement. Die Möglichkeit diese zu regeln, nutzt der weltkirch­liche Gesetzgeber nur sehr begrenzt, etwa im Vermögensrecht. Vorwie­gend legt er die Verantwortung zur Regulierung in das Gutdünken des jeweiligen Ortsbischofs oder der kurialen Behörden. Inhaltlich ist diese Delegation aufgrund kultureller Unterschiede in einer Weltkirche sinn­voll. Nicht ausreichend geregelt ist, ob solche regionalen Regeln über­haupt eingeführt werden müssen oder nicht.

Ein Paradox: Die regulierbaren äußeren Faktoren einer Organisations­kom­munikation werden vom Gesetzgeber vernachlässigt, das jeder Regulierung entzogene Verhältnis von Mensch und Gott dagegen reguliert.

Zweites Indiz: Verstehen ist Holschuld
Der Gesetzgeber legt sein Augenmerk auf den Output. Rechtliche Nor­men, die den Sender zur Verständlichkeit anhalten, fehlen oder sind nachrangig. Beispielsweise sollen Priester „weltliche Moden in der Ausdrucksweise […] meiden“ (can. 279 § 1). Eine solche Festlegung ist problematisch, denn Verstehen ist ein soziales Phänomen. Es lässt sich nicht exakt messen, sondern muss von demjenigen, der etwas erklären möchte, bestätigt werden. Dazu braucht es soziale Interaktion. Wenn A etwas äußert und B zuhört, dann wissen A und B erst, ob B verstanden hat, wenn B äußert, was er verstanden hat und A signalisiert, es sei das, was er mitteilen wollte. Verstehen ist kirchenrechtlich als Holschuld derer konzipiert, die verstehen sollen. Eine hohe Hürde, die sowohl hierarchisch absteigend als auch aufsteigend besteht (vgl. Gallegos Sánchez 2015, 267 ff.).

Diese beiden Indizien legen nahe: Kirchlicher Sprachlosigkeit kann man nicht nur durch Rhethorikseminare begegnen, sondern die Veränderung muss tiefergreifend stattfinden (vgl. Flügge 2016, 91 f.). Sie basiert auf dem Grundverständnis einer Kommunikation, die rechtlich als Herr­schafts­instrument konzipiert ist. Wenn es die deutschen Bischöfe ernst meinen mit der geforderten Mentalitätsänderung, dann könnten sie die ihnen möglichen Voraussetzungen schaffen, die Grundlagen lokaler Kirchen­entwicklung begünstigen und damit dieser Sprachlosigkeit entgegen­treten.

Welche Regeln brauchen Charismenorientierung, Partizipation, Spiritualität und Dezentralität?

Lokale Kirchenentwicklung wird durch Gläubige möglich. Zum Handeln sind sie aufgrund von Taufe und Firmung ermächtigt. Sie haben „die Pflicht und das Recht, dazu beizutragen, dass die göttliche Heilsbot­schaft immer mehr zu allen Menschen aller Zeiten auf der ganzen Welt gelangt“ (can. 211). Zur Tauf-„Würde“ wird dieses Handeln, wenn es unter rechtlichen Rahmenbedingungen geschieht, die unabhängig von der nächsten Bischofsernennung Vertrauen und Sicherheit gewährleis­ten. Wie können solche Normen aussehen? Zur grundlegenden Ände­rung braucht es die Gesetzesinitiative des Papstes. Doch im Blick auf Grundsatzentscheidungen zur lokalen Kirchenentwicklung kann ein Diözesanbischof als Diözesangesetzgeber kurz- und mittelfristig seine Grundsatzentscheidung zur lokalen Kirchenentwicklung durch Rechts­setzung unterstützen. Die folgenden Vorschläge beziehen sich deshalb weitgehend auf diese Ebene.

  • Glauben lässt sich nicht vorschreiben, Verfahrenswege schon.
    Die Spiritualität als Säule lokaler Kirchenentwicklung lebt von der lebendigen Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift. Das bedarf eines Klimas des Vertrauens. Hier kann ein Bischof nur durch Vorbild, Anregung und Förderung steuern. Besonders Auszubildende in den unterschiedlichen Berufsgruppen, (neue) Gremienmitglieder und erwachsene Taufbewerber können durch entsprechende Übung und Praxis in den jeweiligen Ausbildungen/‌Einführungen mittelfristig zu Trägern und Multiplikatoren dieser Spiritualität werden. Es hängt vom Diözesanbischof ab, ob ein Klima entsteht, das Gottvertrauen oder Denunziation fördert. Mancherorts wird beispielsweise nicht mehr gehandelt, wenn anonyme „Beschwerdebriefe“ eingehen. Ein Bischof kann Mediatoren einsetzen, um Auseinandersetzungen, die sich an Glaubensaussagen oder liturgischer Gestaltung entfachen, zu moderieren und so die Gläubigen miteinander statt übereinander ins Gespräch bringen. Das könnte qua Selbstverpflichtung auch für die Moderation von Gesprächen gelten, in die er selbst oder seine Mitar­bei­ter als „Partei“ eingebunden sind. Damit wäre für das Gespräch Augenhöhe gewahrt, ohne die Entscheidungskompetenz des Bischofs zu schwächen (vgl. Gallegos Sánchez 2015, 331–337).
  • Partizipation lässt sich rechtlich verankern.
    So könnte beispielsweise sichergestellt werden, dass all jene, die eine Entscheidung betrifft, in irgendeiner Art beratend tätig werden kön­nen und sollen. Kanonisten sprechen dabei von einer qualitativen und quantitativen Erweiterung der Beispruchsrechte. Sie garantieren nur dann echte Partizipation, wenn die Entscheider den Beratenden ge­gen­über verpflichtet sind, eine ggf. auch dem Beratungsergebnis ent­gegenstehende Entscheidung transparent zu begründen. Solche Be­grün­dungspflichten wären ein erster Schritt, um im Rahmen der Or­ga­nisationskommuni­kation die rechtliche Konzeption des Ver­stehens (s. o.) von einer Holschuld der Zuhörer in eine Bringschuld der Sender umzukehren. Für den Bereich der Glaubens­kom­mu­ni­kation gelingt diese Umkehr wohl am ehesten, wenn der Kreis jener erweitert wird, die verkünden (s. u.).
  • Konflikte kann man managen.
    Dafür sind klare Verfahrensregeln notwendig. Ein positives Beispiel diözesaner Rechtssetzung bietet die Limburger Synodalordnung: Können sich Pfarrer und Pfarrgemeinderat nicht einigen, kann der Pfarrer einen Beschluss des Gremiums nicht einfach durch Veto „kippen“. Er kann Einspruch einlegen, dann wird zeitnah nochmals verhandelt. Bleibt dies ergebnislos, wird zunächst der Bezirksdekan als Vermittler eingeschaltet. Erst in vierter Runde wird die Sache dem Bischof vorgelegt, der nach Anhörung beider Parteien rechtsgültig ent­scheidet. Ähnliche Regelungen könnten andere Berufsgruppen umfas­sen. Sie könnten für Einzelne oder nicht-synodale Gruppen Beschwer­de­wege und Schlichtungsverfahren regeln. Das ist wichtig, wo bera­ten­de Ausschüsse ohne Stimmrecht existieren (z. B. Orts­aus­schüsse, Gemeindeteams, lokale Gemeindeteams).
  • Feedback lässt sich institutionalisieren (vgl. Gallegos Sánchez 2015, 283–293).
    Die adäquate Haltung des Dienens ist das Zuhören. Ein Bischof kann sich selbst, seine Dezernate sowie die unteren Ebenen (Bezirke, Deka­nate, Pfarreiverbünde) dazu anhalten, regelmäßig und in besonderen Angelegenheiten Rückmeldungen einzuholen. Das geschieht z. B. durch Hearings, Evaluationen, Reflexionen, Befragungen von Einzel­nen oder Vertretern bestimmter Gruppen oder Milieus. Das Feedback sichert die Partizipation und fördert einen Umgang mit Fehlern, der konstruktiv ist und Fehler als Lernhilfen nutzt. Eine solche positive Fehlerkultur öffnet den Raum, damit Charismen sich entfalten und entwickeln können.

Dezentralität setzt große Seelsorgeräume voraus. In diesem Punkt sind die Bistümer – meist aus der Not heraus – bislang am weitesten in ihrer Gesetzgebung. Auf Pfarrei- und Gemeindeebene wird die Zentralisie­­rung der Verwaltung im Rahmen von Großpfarreien häufig frustriert ab­gelehnt, weil den ehemaligen kleinen Territorialpfarreien gefühlt etwas weggenommen wird. Außerdem sind Ehren- und Hauptamtliche irri­tiert, sie bewerten die Großpfarreien als gegenläufig zur lokalen Kir­chen­entwicklung. Doch liegt genau darin die Voraussetzung für ein par­tizipatives Miteinander. Auch wenn es paradox klingt, die Zentralisie­rung der Verwaltung schont Ressourcen und ermöglicht so dezentrales pastorales Handeln. Die Zusammenlegung hilft, das kirchenrechtlich als Herrschaft konzipierte Amt wieder stärker seinem Dienstcharakter zuzu­führen. Hilfreich könnten Selbstverpflichtungserklärungen sein, in de­nen Leitende erklären, auf Kommunikation als Herr­schafts­instru­ment (weitestgehend) zu verzichten. Pate stehen könnten Schulungen und Selbstverpflichtungen, wie sie in der Prävention vor sexuellem Miss­brauch eingeführt wurden. Letzten Endes bleibt zwar auf jeder Ebene einer (oder mehrere) leitungsverantwortlich, was im Rahmen des Dienstrechtes zuweilen auch bedeutet, Grenzen zu setzen. Dennoch könnte eine Offensive zur Bewusstseinsbildung die Kommunikations­­pro­zesse in Pfarreien und Bistümern neu prägen, ähnlich wie bei der Prävention. Wenn die Verwaltung in Großpfarreien zentralisiert wird, eröffnet sich die Möglichkeit, stärker kategorial zu arbeiten. Darin liegt eine große Chance ressourcenorientiert zu wirken und weniger bedarfs­orientiert. „Durch ein solches Umdenken von einer Bedarfs- auf eine Ressourcenorientierung können ganz neue Ausdrucksgestalten kirchli­chen Lebens entstehen“, so die deutschen Bischöfe (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2015, 19). Wenn in dieser Form kategoria­len Arbeitens die ehemaligen kleinen Territorialpfarreien als Kategorien eingestuft werden, dann können sich die Spannungen lösen, die derzeit zwischen territorialer Organisation und kategorialem Arbeiten bestehen.

Andere Milieus brauchen andere Kommunikatoren

Kommunikationsrechte sind Beteiligungsrechte. Ohne Partizipation funk­tioniert Lokale Kirchenentwicklung nicht. Allerlei Initiativen öffnen Kirchenräume, führen aktivierende Interviews und versuchen, aus den angestammten Räumen auszubrechen, um Kirche auf Spiel­plätze, Fried­höfe und in Schulen zu tragen. Das Problem sind, wenn man so will, die Akteure. Seit der Sinus-Milieustudie ist empirisch untermauert: Die Katholische Kirche in Deutschland erreicht nur noch drei Milieus, die zunehmend schrumpfen. Jene die noch (oder wieder) da sind, wurden im Kommunikationssystem der Kirche sozialisiert, fühlen sich darin wohl. Sie sind es, die sich in Gremien engagieren. Ihnen ist der Jargon vertraut. Sie schätzen die Sicherheit eines hier­archischen Systems oder haben sich darin ihren Freiraum erarbeitet. Auch jene, die kirchliche Be­ru­fe ausüben, wie Priester, Diakone, Pastoral- und GemeindereferentIn­nen entstammen diesen Milieus und lassen sich sogar berufsgruppen­spe­zifisch zuordnen. Damit ist ein Kreislauf entstanden, denn Ansprache und Verkündigung erfolgt im eigenen Milieu am effektivsten. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die aktuell vorhandenen Kirchenmenschen ihr Milieu wechseln. Aus Traditionalisten werden nicht plötzlich moderne Performer. Trotz redlicher Anstrengung werden Menschen mit dem, was sie an „weichen Kommunikationsfaktoren“ mitbringen, nicht über meh­re­re Milieu­grenzen hinweg zu Verkündigern des Glaubens. Wenn das aber Ziel einer breiter angelegten Evangelisierungsinitiative ist, wie sie in Evangelii Gaudium vorgezeichnet und in „Gemeinsam Kirche sein“ für die Kirche in Deutschland konkretisiert wurde, dann brauchen wir zusätz­liche Kommunikationsakteure aus anderen Milieus. Die Frage kann also lauten: Wie gelingt eine Öffnung für Menschen anderer Milieus? Die Frage gilt auf Ebene der Pfarrgemeinde, viel mehr noch stellt sie sich auf Ebene der Bistümer. Wie gelingt es, Menschen für den kirchlichen Dienst zu gewinnen, die eben nicht bereit sind, die zahlrei­chen An­passungs­leistungen zu erbringen, die heute in den klassischen Aus­bil­dungswegen für Priester, Diakone, Gemeinde- und Pastoralrefe­rentInnen gefordert werden? Welche Personalgewinnungsstrategien gibt es, um QuereinsteigerInnen eine Mitarbeit schmackhaft zu machen? Wie finden auch andere Berufsgruppen Zugang in die Teams? Wollen wir überhaupt, dass andere Milieus eindringen in die Ordi­nariate und die Pastoralteams? Denn so sicher wie eine solche Diversifizierung das Poten­tial steigert, in breiteren Gesell­­schafts­schichten präsent zu sein um vom Evangelium zu erzählen, so sicher ist es, dass sie einen Wandel pastoralen und kirchlichen Selbstver­ständ­nisses mit sich brächte.

Sprung über den Graben

In der katholischen Kirche ist alles Glaubenskommunikation – auch die Strukturen. Verändert sich an den Strukturen etwas, ist immer die Aus­wirkung auf den Glauben zu beachten. Luthers Bibelübersetzung hatte in Verbindung mit dem Buchdruck das Herrschaftswissen der Latein­kun­digen über den Schrifttext entmachtet. Die heutigen Diskussionen um den kirchlichen Sprachstil kratzen erneut am kirchlichen Kommu­nika­tionsverständnis, das mehr auf Herrschaft der Kleriker und weniger auf die Macht des Wortes setzt. „Kirche hält es nicht aus, dass die Menschen am Ende einer Veranstaltung nicht überzeugt, zweifelnd, nicht glaubend bleiben. Man versucht mit immer mehr Nachdruck das Verständnis des Gegenübers zu erzwingen. Der muss doch glauben! – Und so scheitert die Verkündigung“ (Flügge 2016, 17). Diese Angst rührt aus der erkennt­nistheoretischen Überzeugung: Was einmal kontextuell als richtig er­kannt wurde, kann sich nicht mehr ändern, auch nicht in anderen Kon­tex­ten. Diese Hermeneutik prägt die katholische Dogmatik und manifes­tiert sich als Handlungsanweisungen im Kirchenrecht.

Addiert man sämtliche kommunikationsrelevanten Vorschriften des CIC, zeigt sich ein instruktionstheoretisches Kommunikationsmodell (vgl. Gallegos Sánchez 2015, 279–322). In Kommunikationswissen­schaft und ‑psychologie gilt dieses Modell als veraltet, weil es weder die Beziehungsebene, den Prozesscharakter noch die zahlreichen Auswahl­leistungen, die jeden Kommunikationsprozess steuern, beachtet. Zu diesem zählt z. B.: Wie wird formuliert? Was wird gehört? Welches Vor­wissen wird antizipiert? Gesellschaftlich wird das zugrundeliegende Wahrheits- bzw. Wirklichkeitsverständnis nicht mehr geteilt. Das in­struktionstheoretische Kommunikationsverständnis geht von einem passiven Rezipienten aus, dem eine objektive, klar definierbare Wahr­heit vorgelegt wird. Neuere Modelle gründen auf aktiven Rezipienten, die aufgrund ihrer Wahrnehmungen subjektiv oder intersubjektiv ihre Wirklichkeiten konstruieren und diese als Lernende permanent erweitern.

Eine wirkliche Veränderung kirchlicher Kommunikation erfordert dem­nach vor allem den vertrauensvollen Sprung in ein neues, dynami­scheres erkenntnistheoretisches Modell, das den Absolutheitsanspruch der Wahr­heit bei Gott belässt und jenen, die Zeugnis geben, den eschatolo­gischen Vorbehalt zubilligt. Im Horizont christlicher Hoffnung heißt Wahrheit bezeugen gerade nicht, überzeugen zu müssen (vgl. Gallegos Sánchez 2015, 340–342). Diese Veränderung erreichen die Bischöfe nicht allein, aber sie können in ihrem Zuständigkeitsbereich damit beginnen, durch Vorbild und Gesetzgebung neue Kommunika­tions­strukturen zu fördern.