Qualität in Pfarreien
Kriterien für eine wirkungsvolle Pastoral
Unter diesem Titel hat Thomas Wienhardt, Gemeindeentwickler im Bistum Augsburg, eine umfangreiche Studie (zugleich seine Habilitationsschrift) vorgelegt, in der er Qualitätskriterien erfolgreicher Pfarreien erhebt. Sein Ziel ist es, kirchlichen Praktikerinnen und Praktikern angesichts einer schwer überschaubaren Vielzahl möglicher Kriterien eine empirisch fundierte Orientierung für ihr Tun an die Hand zu geben. Sein theologischer Ausgangspunkt dafür ist die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanums, Lumen gentium. Nach deren erstem Satz ist Christus das Licht der Völker, und Aufgabe der Kirche (die nicht selbst Licht ist, sondern nur das Licht Christi reflektieren kann) ist es, als Zeichen und Werkzeug, also als Sakrament, dem Reich Gottes und dem von ihm gewollten Heil zu dienen. Das Licht Christi hat durchaus greifbare Wirkungen, es setzt Menschen in Bewegung, sich z. B. für den Nächsten einzusetzen oder Gott zuzuwenden. Es lassen sich also Indikatoren angeben, anhand derer diese Wirkungen – z. T. indirekt – fassbar werden. Somit ist auch die Wirkung pastoralen Handelns, das die Wirkungen des Lichtes Christi unterstützen und stärken soll, grundsätzlich empirischen Indikatoren zugänglich.
Kritiken, die die Messbarkeit pastoralen Handelns anzweifeln, sieht Wienhardt v. a. begründet in „unprofessionellem Agieren oder (un‑)bewussten Machtverhältnissen oder auch [...] anderen Zielen, die implizit gerade verfolgt werden. So kann es z. B. sein, dass man nicht genau hinschauen möchte, um nicht die Überzeugung bisheriger Finanziers zu gefährden, dass die eigene Arbeit sinn- und wirkungsvoll ist. Daraus ist nicht zu folgern, dass besser keine Messgrößen eingeführt werden, sondern vielmehr, dass möglichst verschiedene Sichtweisen in die Betrachtung einer Organisation zu deren Qualitäts-Beurteilung einfließen sollten“ (89).
Als methodisches Raster verwendet Wienhardt das Qualitätsmanagement-Modell der European Society for Quality Management (EFQM). Es ist dem Ansatz des „Total-Quality-Management“ verpflichtet, wonach eine Organisation sich nicht durch Veränderungen an einer einzigen Stellschraube verändern lässt, sondern nur durch eine ganzheitliche, systemische Betrachtungsweise. Das EFQM-Modell unterscheidet zwischen Befähigerkriterien (mit denen der Bereich der Leistungserstellung erfasst wird: Führung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Strategie, Partnerschaften und Ressourcen sowie Prozesse, Produkte und Dienstleistungen) und Wirk- oder Ergebniskriterien (die vier Ergebnis-Bereiche lauten „Mitarbeiterbezogene Ergebnisse“, „Kundenbezogene Ergebnisse“, „Gesellschaftsbezogene Ergebnisse“ und „Schlüsselergebnisse“). Hinsichtlich der Ergebnisse differenziert Wienhardt noch weiter nach vier Wirkungsdimensionen, die anhand des Modells der International Group of Controlling (IPC) systematisiert werden können und sich besonders für den Bereich von Non-Profit-Organisationen eignen: Output (Menge erbrachter Leistungen, z. B. Veranstaltungen, Produkte, Dienstleistungen etc.), Outcome (gesellschaftlicher Nutzen), Impact (subjektiv empfundene Wirkung) und Effect (objektiv wahrnehmbare Wirkung). Zudem kann man zwischen vier Stakeholder- oder Interessensgruppen unterscheiden, die die verschiedenen Kriterien unterschiedlich gewichten: direkte Wirkungsempfänger, Mitglieder (interne Stakeholder), Finanziers und weitere Stakeholder (z. B. Gesellschaft oder Umwelt).
Mithilfe dieses Modells lässt sich nun die Komplexität der Wirkung pastoralen Handelns abbilden. Für die dazu notwendige empirische Untersuchung erstellte Wienhardt zunächst einen Fragebogen, den er zu großen Teilen neu entwickelte. Entsprechende Items lieferten ihm zum einen eine umfangreiche Literaturanalyse (u. a. von lehramtlichen Aussagen, gemeindetheologischen Grundmodellen und pastoral relevanter Beratungsliteratur) und zum anderen eine Expertenbefragung, für die er 18 pastorale Praktikerinnen und Praktiker interviewte. Aus den daraus extrahierten Kriterien konstruierte Wienhardt einen Fragebogen, der zunächst in einem Pretest erprobt und dann zwischen Mitte 2012 und Ende 2013 in Pfarreien aus dem gesamten deutschsprachigen Raum eingesetzt wurde. Verwertbar waren Angaben aus 397 Pfarreien mit 1711 befragten Personen. Etwa ein Drittel der Befragten waren Hauptamtliche (inkl. MitarbeiterInnen im Pfarrbüro), gut 40 % ehrenamtlich Mitarbeitende.
Die Auswertung der Daten erfolgte in einem zweistufigen Verfahren: Sowohl die Handlungs- als auch die Ergebniskriterien wurden einer Faktorenanalyse unterzogen. Dieses statistische Verfahren erlaubt die Verdichtung der vielen verschiedenen Items auf wenige Faktoren: Mehrere Items, die miteinander korrelieren und somit über die teilnehmenden Pfarreien und Personen hinaus typische Herangehensweisen ausdrücken, verweisen auf eine dahinterstehende Variable, die nicht unmittelbar gemessen wird, aber als ein in der empirischen Überprüfung gefundener Baustein pastoralen Wirkens gelten kann.
Bei den Handlungs- oder Befähigerfaktoren (vgl. 445–463) kommt die Studie auf eine immer noch beachtliche Anzahl von Faktoren aus den insgesamt 20 Bereichen: Leitungsstil (mit den sieben Faktoren: „kommunikativer Teamworker“, „unternehmerischer Mitarbeiterführer“, „problemlösende kirchliche Autorität“, „frommes Vorbild“, „vorsichtiger Akteur“, „Lokalmatador“, „unverbindlicher Grenzensetzer“), Leitbilder (elf Faktoren), Sendung („sozialraumorientiert“, „erwartungsorientiert“, „außenorientiert“, „Kerngemeinde-orientiert“), Analysestrategie (drei Faktoren), Ziele der strategischen Ausrichtung („zielorientiert“, „langfristig-angebotskritisch“, „innovationsorientiert“, „Erfolg als Gnade“), Selbstverständnis der Mitarbeitenden (fünf Faktoren), Bedeutung des Ehrenamts (drei Faktoren), Kultur des Miteinanders („Team-Kultur“, „lösungsorientierte Konfliktkultur“), spirituelle Haltungen („missionarische Frömmigkeitsform“, „überzeugte Auskunftsfähigkeit“), Formen der Pastoral („priesterlich“, „biographisch“, „Kommunion und Firmung“, „Gemeinschaft“, „prophetische Diakonie“, „Kirchenferne“), Gottesdienst-Gestaltung („verständlich-ansprechend“, „zeichenhaft“), Musik („Chor“, „Modern“, „Techno“, „Orgel“, „Orff“), Kontinuität (ein Faktor), Gewinnung von Ehrenamtlichen (vier Faktoren), Arbeitsstile der Gremien (vier Faktoren), Arbeitsstile der Gruppen (drei Faktoren), Erstkontakte (fünf Faktoren), Pfarrbüro (fünf Faktoren), Zusammenarbeit mit externen Partnern („entwicklungsorientiert“, „aufgabenorientiert“) und Ressourcen („Finanzierung“).
Bei den Ergebnis- oder Wirkfaktoren ergibt die Faktorenanalyse aus insgesamt 113 Items folgende 26 Kategorien in neun Bereichen (vgl. 463–475): Glaubensinhalte („christliche Semantik“, „neoreligiöse Semantik“, „höhere Kraft“, „humanistische Sichtweise“, „Tod als etwas Natürliches“), Wahrnehmung der Pastoral von außen („biographisch-gemeinschaftlich“, „priesterlich“, „ehrenamtlich-diakonisch“), religiöse Praxis („spirituelle Aktivität“, „Standfestigkeit“, „Bibel und Meditation“), Kirchlichkeit („Kirchendistanz“, „bedarfsorientierter Anker“), Gemeinde als Ort des Glaubens („spirituelle Quelle“, „vielfältige Glaubensvertiefung“, „Lebenshilfe“), Gemeinschaft (zwei Faktoren), Teams (drei Faktoren), Image der Pfarrei (drei Faktoren) und diakonische Pastoral („individuelle Zuwendung“, „soziale Organisation“). Diese Faktoren sind der Wirkungsart „Impact“, also den subjektiv erlebten Wirkungen zuzurechnen. Hinzu kommen weitere quantitative Wirkkriterien wie z. B. Katholikenzahl, Anzahl der Kasualien, Aktivität in Gremien und pfarreilichem Leben, Austritte und Wiedereintritte, Öffnungszeiten des Pfarrbüros, Lage der Pfarrei (Land, Stadt, Großstadt) oder Beschwerdehäufigkeit.
Diese Liste von Faktoren ist zunächst wertneutral. Durch das Agieren von Menschen, indem sie sich für eine bestimmte Herangehensweise entscheiden oder eine bestimmte Wirkung bewerten, ergeben sich sogenannte Cluster, als Gruppen von Pfarreien, die einander ähnlicher sind als andere. Auf der Basis der Ergebnis-Faktoren wurden in einem zweiten statistischen Auswertungsschritt, einer Clusteranalyse, neun Cluster von Pfarreien identifiziert, die sich in ihrem Wirkprofil unterscheiden. Es gibt dabei ein breites Spektrum von tief negativen bis sehr positiven Wirkungen. Die neun Cluster werden anhand eines typischen Merkmals mit einer Überschrift charakterisiert (vgl. 475–508): Cluster 1: „unzufriedene Teams“, Cluster 2: „selbstzufriedene Kerngemeinde“, Cluster 3: „traditionsbewusste Pfarreien“, Cluster 4: „Hingabe mit Beigeschmack“, Cluster 5: „Orte deutlicher Kirchendistanz“, Cluster 6: „begeisternde Zuwendung“, Cluster 7: „synkretistische Zuwendung“, Cluster 8: „distanzierte Wertschätzung“, Cluster 9: „gemeindeferne Christen“.
Insbesondere zwei Pfarreitypen erweisen sich dabei als positiv wirkend: Traditionell ausgerichtete Pfarreien mit einer gewissen Distanz zur Moderne (Cluster 3) und vor allem Pfarreien des Clusters 6 („begeisternde Zuwendung“), die einen breiteren Milieu-Querschnitt integrieren können. Die spannende Frage ist nun, was diese erfolgreich wirkenden Pfarreien anders machen und worin die Nachhaltigkeit ihres Wirkens begründet liegt. Zur Beantwortung dieser Frage greift Wienhardt auf die Grundidee des EFQM-Modells zurück, wonach die Handlungsfaktoren einen kausalen Einfluss auf die Wirkfaktoren haben. Im statistischen Verfahren der Regressionsanalyse wird daher überprüft, welcher Zusammenhang zwischen diesen Faktoren besteht. Damit kann zwar nicht sicher bewiesen werden, dass ein kausaler Zusammenhang vorliegt, wohl aber lassen sich sinnvoll Wirkzusammenhänge aufzeigen.
Folgende Handlungsfaktoren nennt Wienhardt zusammenfassend als Qualitätskriterien für pastorales Handeln in Territorialpfarreien (vgl. 565–570): Die Leitung agiert kommunikativ und teamorientiert, ist als Vorbild gefordert, wird zeitweise mit unternehmerischen Methoden initiativ und beachtet ihre eigenen Belastungsgrenzen. Leitbilder sind integrativ (Stichworte: gemeinsames Priestertum, Charismenorientierung) und gesellschaftsoffen. Die pastorale Planung nimmt sowohl „Fernstehende“ als auch die „Kerngemeinde“ in den Blick, überwindet Milieuverengungen, fördert tiefgreifendes und kontinuierliches Lernen, sorgt für die zielorientierte Umsetzung innovativer pastoraler Visionen. Das Team der Hauptamtlichen hat eine klare und stärkenorientierte Aufgabenverteilung, ist eng aufeinander abgestimmt, stößt (gemeinsam mit Ehrenamtlichen) Entwicklungen an, traut Ehrenamtlichen etwas zu und unterstützt sie, bindet verschiedene Milieuherkünfte ein, achtet auf eine gute Team- und Konfliktkultur und ist über seinen Glauben auskunftsfähig. Kontakte werden atmosphärisch gut aufgebaut, Kasualienfrommen wird einladend begegnet, Gottesdienste sind zugänglich und lebensstilnah, ohne belehrend zu sein. Die gesamte Pastoral ist lebensnah, niederschwellig, spirituell, diakonisch und ermöglicht Begegnungen; die Arbeit ist kontinuierlich, zielorientiert und zuverlässig. Zu ehrenamtlichem Engagement wird kontinuierlich und planvoll eingeladen. Das jeweilige pastorale Gremium (Pfarrgemeinderat o. ä.) ist die zentrale pastorale Instanz mit guter Sitzungskultur. Gruppen arbeiten selbständig, vernetzt und integrativ. Das Pfarrbüro agiert freundlich, kompetent, unterstützend und zugänglich. Zur Fortentwicklung der Pastoral werden gezielt Projekte mit externen Partnern gesucht; im Netzwerk der Kommune oder von Vereinen wird Koordination gesucht; neue Ziele werden planvoll mit ausreichend Ressourcen ausgestattet.
Mit seiner Studie hat Wienhardt ein ambitioniertes Projekt vorgelegt, dessen Rezeption eine gewisse Leseausdauer voraussetzt und idealerweise auch eine grundsätzliche Vertrautheit mit den Methoden empirischer Sozialforschung. Hilfreich ist das vorangestellte Vorwort, das zentrale Erkenntnisse der Studie zusammenfasst und die Bewegung im Buch erleichtert. Besonders das fünfte, das Qualitätsmodell zusammenfassende Kapitel liefert viele Impulse für die Weiterentwicklung der pastoralen Arbeit in den Gemeinden. Die Arbeit stellt gleichzeitig einen interessanten Beitrag zum Verhältnis von Theologie und Ökonomie dar, insofern Wienhardt mit Konzepten aus dem Management und Marketing arbeitet, dies auch stringent begründet und dadurch das Perspektivenspektrum pastoraler Praktikerinnen und Praktiker bereichert. Somit wird deutlich, dass Qualitätsentwicklung ein hilfreiches Instrument für die Kirche sein kann, um ihrem Auftrag nahe zu bleiben.
Thomas Wienhardt, Qualität in Pfarreien. Kriterien für eine wirkungsvolle Pastoral (Angewandte Pastoralforschung 3), Würzburg: Echter Verlag 2017, ISBN: 978-3-429-03980-6, 688 Seiten, € 69,00.