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Pastoral im Vorübergehen

Studientagung „Passagere Pastoral“ in Frankfurt

Angesichts der Ausnahmesituation, die die gewalttätigen Proteste an­läss­lich der Einweihung des neuen EZB-Gebäudes in Frankfurt mit sich brachte, hatten es die Teilnehmer der Studientagung am 18.3.2015 zu­nächst schwer, zum Ort des Geschehens zu kommen. Ein Vertreter der Flughafenpastoral am Frankfurter Airport und Ver­treterinnen und Ver­­tre­ter der Bahnhofsmission, der Telefonseelsorge und des ökumeni­schen Netzwerks Cityprojekte auf nationaler Ebene trafen sich auf Einladung der Arbeitsstelle KAMP, um in Frankfurt die Chancen und Grenzen einer passageren Pastoral zu diskutieren. Auch das Zentrum für Mission in der Region (ZMiR), die Schwestereinrichtung der KAMP auf EKD-Seite, war bei dem ökumenischen Vernetzungstreffen mit seinem Leiter Hans-Hermann Pompe präsent.

In allen genannten Bereichen der Pastoral wurde in den einführenden Statements von der niedrigschwelligen und punktuellen Begegnung mit unterschiedlichsten Menschen, meist aber mit den „Armen“ berichtet.

Prof. Dr. Bernd Lutz von der Theologischen Hochschule St. Augustin merkte in seinem pastoraltheologischen Beitrag an, dass die Bezeich­nung „Passagere“ oder „Passantenpastoral“ sich erst mit der Entwick­lung der Citypastoral Mitte der 90er Jahre entwickelt habe. Das Faktum, das dahinterstehe, nämlich Menschen punktuell und im Vorübergehen in den Blick zu nehmen, sei jedoch viel älter. Nach dem Trienter Konzil, das die Territorialisierung im Pfarreiensystem zur Sicherung der Seel­sorge vorangetrieben habe, seien Laieninitiativen als Alternative zur Pfarrei entstanden. Passagere Pastoral sei deswegen heute eine zeitge­mäße Form der Pastoral, weil sie die Biografie und die aktuelle Situation des Menschen und die punktuelle Begegnung in der City bzw. im Inter­net als „Lebensform“ ernstnehme und zur Grundlage des pastoralen Auftrags mache. Auf dem Hintergrund einer immer pluraler werdenden Gesellschaft sei auch die Kirche in ihrer Pastoral herausgefordert, heute vielfältige Identifikationsgestalten zu bieten. Hierbei erfüllten passage­re Seelsorgefelder einen wichtigen Auftrag, der im Gesamt kirchlicher Präsenz und Praxis gesehen und vernetzt werden müsse. In den großen pastoralen Räumen sei es entscheidend, solche Einrichtungen passa­ge­rer Seelsorge als pastorale Orte wahrzunehmen. Insbesondere verwies Lutz auf die individuelle Glaubenskonstruktion der Gegenwart. Glaube müsse eine persönliche Plausibilität aufweisen, soll er intendiert wer­den. Menschen suchten heute die Zugänge, die zu ihnen passten. Die passageren Orte zeigten also, dass es zunehmend um Zugang (Access) zum Glauben statt um dauerhafte und aktive „Mitgliedschaft“ in der Kirche gehe.

Die Bahnhofsmission ist ein Beispiel für die Präsenz von Kirche an ei­nem durch und durch säkularen Ort der Mobilität: dem Bahnhof. Im Vordergrund steht der Umgang mit Menschen, die einen flüchtigen Be­zug suchen, so kann die Bahnhofsmission in Deutschland pro Jahr auf 2,1 Mio. Kontakte mit ihren „Gästen“, wie sie dort heißen, verweisen. Alle beteiligten Einrichtungen verstehen sich ökumenisch und mit in­terreligiösem Bezug und haben zahlreiche Kontakte zu Menschen, die keine Glaubenden sind. Da sie den Menschen mit seinen Bedürftigkei­ten in den Mittelpunkt stellen, verwirklichen sie so besonders deutlich die diakonische Dimension der Sendung der Kirche. Die Seelsorge wäre nicht vorstellbar ohne die große Zahl von Ehrenamtlichen, die sich an den passageren Punkten als Freiwillige engagieren. Sie machen deut­lich, dass Seelsorge viel mehr ist als amtlich-priesterliches oder auch professionelles Tun, nämlich eine Aufgabe der Glieder des Gottesvolkes. Bei der Telefonseelsorge immerhin benötigt es auch eine entsprechende Professionalität der Freiwilligen, für die jedoch in Ausbildung und Be­glei­tung gut gesorgt wird. Diese Freiwilligen, die selbst in sich sehr ver­schieden sind, kommen explizit zur passageren Einrichtung, weil sie sich dort engagieren wollen und aus diesem Engagement Befriedigung ziehen. So bilden sich an solchen passageren Orten von Kirche neue Ar­ten von Gemeinde. Der Pallottiner-Pater Heinz Goldkuhle erzählt vom Flughafen Frankfurt als Gemeinde mit 78000 Beschäftigten und den Tausenden von Reisenden. „Volkskirche gibt es nicht mehr“, meint Pater Goldkuhle. „Es ist Zeit für eine Kirche, die nicht sitzt und wartet, bis einer kommt, sondern die auf andere zugeht, die da ist, wo die Men­schen sind.“ Gemeinde wird so als ein Relationsbegriff deutlich, der eine Beziehung anzeigt, im Unterschied zum Territorium ein nicht-territorialer Raumbegriff.

Die Vertreter berichten aber auch von Problemen. Für viele, auch Ver­ant­wortliche in den Kirchen, gelten die passageren Dienste bis heute als defizitär, allenfalls als Vorraum oder Brücke hin zu verbindlichen und nachhaltigen Formen von Christ-Sein. Frau Sauter-Ackermann, beim Verband IN VIA für die Bundesebene der Bahnhofsmission beschäftigt, berichtet, dass die Arbeit der BHM oft unter dem Vorzeichen angeblich mangelnder Spiritualität angefragt wird. Landeskirchenrat i. R. Klaus Teschner, lange als Vorsitzender des evangelischen Bundesverbands der Bahnhofsmission aktiv, wehrt sich gegen Vorwürfe, das Passagere führe nicht in die Tiefe menschlicher Existenz: „Das Vorübergehende kann das Tiefsinnige werden. Wer den Small Talk nicht liebt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er keine tiefergehenden Gespräche mehr hat.“

Viele Einrichtungen passagerer Dienste machen die Erfahrung, dass sie Aufgaben wahrnehmen, die früher in der Gemeindepastoral wahrge­nom­men wurden. Oft ernten sie dafür aber keine Anerkennung, son­dern sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Pastoral sei zu wenig geistlich oder spirituell. Der Geschäftsführer der Telefonseelsorge, Dr. Blömeke, berichtet davon, dass nach Änderungen des Psychiatrie­gesetzes immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen sich an die Telefonseelsorge wenden, die frühzeitig und ohne weiterführende Begleitung aus den Krankenhäusern entlassen und dann von den Klini­ken selbst auf die TS verwiesen werden. Gleichzeitig müsse die Tele­fon­seelsorge mit immer weniger Ressourcen auskommen.

Peter Kolb, Bundessprecher des ökumenischen Netzwerks Citykirchen­pro­jekte, macht deutlich, dass die Konzepte, durch Citypastoral mit den Menschen in Kontakt zu treten, so unterschiedlich sind, wie es die städ­tischen Situationen, die sozio-kulturellen Milieus und die pastoralen Möglichkeiten vor Ort in ihrer Differenziertheit sind. Dabei gebe es sozia­le, kulturelle oder Bildungsschwerpunkte. Alle Einrichtungen verstehen sich als Dienstleister mit seelsorgerlicher Sensibilität. „Die spontane Begegnung, das kurze Gespräch, die unverhoffte Offenheit sind der Kairos für eine Seelsorge des Augenblicks.“

Im Austausch wurde für alle Beteiligten deutlich, dass das passagere Element in der Pastoral viel grundsätzlicher ist, als oftmals angenom­men wird. Die Vertreter sahen sich auf dem Studientag mit ihrer Arbeit positiv gewertschätzt, wenn die Perspektive nicht der Vorwurf man­geln­der Spiritualität ist, sondern vielmehr die Frage, was denn die Pas­toral der Kirche insgesamt von den passageren Seelsorgefeldern lernen kann. So wie die Einrichtungen den konkreten Menschen – auch bei flüchtiger Begegnung – in den Mittelpunkt stellen, ihm als Gast Gast­freundschaft gewähren, so erweist sich ihr Beitrag zur Rückführung kirchlichen Tuns auf den primären pastoralen Bezug: Die Kirche hat den Auftrag, Menschen ihren eigenen Christus-Bezug erkennen zu lassen. Es geht weniger darum, die Gemeinschaft (der Kirche) zu bezeugen, son­dern vielmehr darum, Christus selbst in der personalen Begegnung und Zuwendung zum Menschen zu bezeugen und punktuell aufscheinen zu lassen.

Die Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Institutionen fühlten sich als pastorale Akteure im Feld der Gesamtpastoral wahrgenommen und bestärkt, die Relevanz passagerer Pastoral für die Gesamtpastoral leuchtete auf. Es wurde vereinbart, diese Thematik mit weiteren Bereichen wie z. B. der Notfallseelsorge und für einen größeren Kreis pastoraler Praktiker und Verantwortlicher vertieft und erweitert zu thematisieren.