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Christwerden in einer multireligiösen Gesellschaft

Angesichts der zunehmenden Nicht-Selbstverständlichkeit christlichen Lebens und dem Zerfall stützender volkskirchlicher Strukturen in der postmodernen Gesellschaft gewinnt die Frage nach der personalen Ent­scheidung für ein Leben aus dem Glauben immer größere Bedeutung. Dies gilt einerseits für Prozesse des Christ-Werdens. Nachdem die Zeit einer unhinterfragten Selbstverständlichkeit der Taufe im Säuglings­alter dem Ende zuzugehen scheint, finden solche Prozesse vermehrt in der Lebenszeit als älteres Kind, als Jugendlicher oder als Erwachsener statt. Es gilt in gleichem Maße für die Herausforderung des Christ-Blei­bens, d. h. in seinem Leben in den unterschiedlichen Phasen immer wieder eine adäquate und authentische Antwort des Glaubens geben und leben zu können. Diese Fragen kulminieren in der Thematik des Katechumenats, der zwar mancherorten immer noch ein Schattenda­sein fristet, aber immer deutlicher macht, dass Christ-Werden, Glau­bens­vertiefung und -aktualisierung Wege sind, die der Begleitung und Gestaltung bedürfen und so dem Glaubensausdruck des Einzelnen, der damit zu tun bekommt, wie der Glaubensgemeinschaft als Ganzer mehr Tiefe und Bedeutung gibt.

Es ist das Verdienst des kleinen Bändchens von Patrick C. Höring und Bernd Lutz, sich dieses Themas vertiefend und in vielfältigen, gut les­­baren Beiträgen anzunehmen. Den Beginn macht der Religionswissen­schaft­ler Ulrich Berner, der auf der Folie historischer Initiationsriten und Mircea Eliades Perspektive der Initiation des Mysten, „um seine mensch­liche Lage zu transzendieren und eine höhere, übermenschliche Seinsweise zu erlangen“ (16) seinerseits moderne Szenarien wie Berei­che der Kunst und den Extremsport als gelebte Religion und als Begeg­nung mit dem Heiligen versteht. Benedikt Kranemann befragt als Litur­gie­wissenschaftler die Taufliturgie als ‚rite des passage‘, als Über­gangs­ritual innerhalb veränderter Zeitsignatur. Nachdem seit dem 4./5. Jahr­hundert die Säuglingstaufe das Leitritual war, das den langen Zeit­raum des Initiationsprozesses in eine einzige Feier hinein komprimier­te, wurden die ursprünglich im „Anweg der Taufe“ gefeierten Zeichen wie Katechumenen- und Chrisamsalbung zu „ausdeutenden“, rahmen­den Zeichen eines in der Taufformel punktuell und verengt verstande­nen Handelns von Spendung und Empfang der Taufe. Die Wiederher­stellung des mehrstufigen Katechumenats macht vielmehr den Gemein­debezug der Initiation und den Zusammenhang von Taufe, Firmung und Erst-Eucharistie deutlicher. Der Mittelpunkt der Taufliturgie ist – anlog zur Eucharistiefeier – das „Lobpreis und Anrufung Gottes über dem Wasser zur Taufe“ genannte „Hochgebet“. Kranemann zeigt an­hand der Zeichen der Taufliturgie zentrale Inhalte der Tauftheologie auf wie die Hineinnahme in das Christusgeschehen, Befähigung zu einem Leben aus Christus und Eingliederung in den Leib Christi.

Der Beitrag von Michael Herbst fügt die Ergebnisse einer Studie der Uni­versität Greifswald „Wie finden Erwachsene zum Glauben?“ hinzu und stellt die Erkenntnisse in den Kontext einer „Pastoral des Gewinnens“ hinein. Herbst plädiert für eine Entschleunigung, da Prozesse des Zum- Glauben-Kommens sich über mehrere Jahre hin erstrecken. Nach der Studie sind es die drei Typen Vergewisserung, Entdeckung und Lebens­wende, denen sich die Befragten zuordnen lassen. Im Weiteren zeigt Herbst auf, welche Faktoren zum Glauben beitragen: Dies reicht von Alltagsnetzwerken guter Beziehungen über gastliche Angebote von Gemeinden, bei denen der Glaube zur Sprache kommt, sowie einer „missionarischen Profilierung“ von Gottesdiensten bis hin zu Kursen, die den Glauben aus einer lebensrelevanten Sicht heraus thematisieren. Für Herbst ist dies der Anlass, neu über Gemeindeentwicklung nachzu­denken.

Christian Hennecke macht deutlich, dass sich das „Aquarium“ milieuhaf­ter Glaubensprozesse als lebendige Übernahme und selbstverständ­li­ches Erlernen des Glaubens schon längst aufgelöst hat. Er erinnert an die modernen Typologien des Glaubens wie „Pilger und Konvertiten“ und plädiert für Orte intensiver Erstverkündigung, die dann zu Wegen der Initiation hinführen müssten. Initiation geschieht nach ihm weniger durch Kurse, als vielmehr in einer Mystagogie durch „Erfahrene“. Sein Fazit: Es muss darum gehen, viele neue und alte Orte, an denen der Glau­­be von Menschen authentisch bezeugt und gelebt wird, zu entde­cken und zu begleiten. Solche neuen kommunikativen Glaubensmilieus im offenen Rahmen eines pfarrlichen Netzwerkes seien der Boden, auf dem Glaube reifen kann und dann dort auch „gelernt“ werden kann. Da­zu gehört auch, dass das Evangelium in der Gestalt und in der Sprache des Anderen wahrgenommen und entdeckt wird, also Inkulturation ernst genommen wird. Ein eigenes Kolorit trägt der Artikel von Ibrahim Salama, der aus muslimischer Sicht die Problematik der Apostasie, also des Religionswechsels, in den Blick nimmt. Bei seiner Koran-Recherche listet er einerseits Verse auf, die die Freiheit des Glaubens und der Reli­gion unterstützen und eine Vielfalt von unterschiedlichen Religionen als Wille Allahs zulassen. Andererseits nennt der Autor aber auch sol­che, die für Apostaten die Todesstrafe fordern, die jedoch nicht als eine zeitliche oder weltliche Strafe, sondern als ein eschatologisches Gesche­hen gedeutet wird.

Claudia Hofrichter schließlich nennt Zahlen und Fakten zum Erwachse­nenkatechumenat in Deutschland und beschreibt ihn auf dem Hinter­grund biografischer Zeugnisse und Lebensmotive. Sie macht deutlich, dass für pastorale Mitarbeiter der Katechumenat in der Spannung zwi­schen „Störfall“ und „willkommener missionarischer Gelegenheit“ steht (118). Sie wirbt für eine weitere Befassung und Gestaltung des Katechumenats, um ihn als „Modell“ für die grundsätzlichen Prozesse des Glaubenlernens und der Initiation wahrzunehmen und zu gestalten.

Die Beiträge dieses Bändchens bündeln in guter Weise Aspekte der der­zei­tigen Diskussion und stellen sie in den Horizont der sich verändern­den Rahmenbedingungen von Glauben und Kirche-Sein in Deutschland. Sie sind damit für alle, die sich in der Pastoral, Glaubenskommuni­ka­tion und Kirchenentwicklung hauptberuflich oder ehrenamtlich befas­sen und für alle Interessierten eine spannende und inspirierende Lektü­re, wie die Fragen nach Initiation zu Grundfragen einer sich als missio­na­risch verstehenden Kirche werden. Die Herausgeber stellen die Initia­tionsthematik selbst in den größeren Horizont: „Im Rückblick wird er­kennbar, wie lohnenswert eine Auseinandersetzung mit der langjähri­gen missionswissenschaftlichen Forschung für eine Pastoral der katho­lischen Kirche hierzulande ist. Mehr als zehn Jahre nach dem Erschei­nen des bischöflichen Schreibens „Zeit zur Aussaat“ scheinen derlei Fragestellungen in der lokalen Praxis und der diözesanen Perspektive längst noch nicht flächendeckend handlungsleitend. Einer Kirche an der Schwelle zwischen Volkskirche und sich abzeichnender Diaspora drängt sich jedoch die Frage nach einer ‚missionarischen Umgestaltung der Kirche‘ [Papst Franziskus, Evangelii Gaudium Nr. 21, d. V.], die einen Bewusstseinswandel des je einzelnen Glaubenden sowie der ganzen Kirche darstellt, immer mehr auf“ (10f.).

Hubertus Schönemann