Pegida & Co. – Herausforderung für Gesellschaft und Kirche
Erinnert sich eigentlich noch jemand an … Pegida? Zum Jahreswechsel 2014/2015 schien sich die Zahl der Teilnehmer jede Woche zu vergrößern – in Dresden waren es nach Polizeiangaben bis zu 25.000 –, und Ableger schossen in ganz Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Doch mittlerweile ist die Pegida-Bewegung weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. Heißt das, dass wir sie getrost vergessen können?
Nicht, wenn man Pegida als ein Symptom für größere Konstellationen und grundlegende Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaft betrachtet. Dann kann das Pegida-Phänomen ein heuristisches Mittel darstellen, um aktuelle Herausforderungen zu identifizieren – gerade auch für Kirche und Christentum, und das nicht nur, aber auch, weil es eine deutliche Nähe mancher kirchlicher Kreise zu Pegida & Co. gibt. Machen wir uns also auf die Suche nach diesem „& Co.“, indem wir typische Themen und Forderungen der Dresdner Pegida-Bewegung als Ausgangspunkt nehmen.
Themen und Forderungen
Bei dieser Suche sind das „Positionspapier“ der Pegida vom Dezember 2014 sowie die neueren „Dresdner Thesen“ (von Mitte Februar 2015) zwar durchaus hilfreich (vgl. Positionspapier 2014; Dresdner Thesen 2015); doch ist Etliches unklar formuliert, und die Zusammenstellung von Aussagen im Positionspapier wirkt ziemlich ungeordnet, geradezu wirr. Zudem stellten Beobachter eine deutliche Diskrepanz zwischen dem wie einem Feigenblatt hochgehaltenen Positionspapier und dem auf den Demonstrationen Gesagten fest, wo oftmals nicht nur einseitiger als im Papier gesprochen und polemisiert wurde, sondern auch noch andere Themen angesprochen wurden. So haben wir es mit einer Fülle von Forderungen und Themen zu tun, aus der wir nur einige herausgreifen können (vgl. dazu Engelmann/Lamprecht 2015; Lamprecht 2015, 85–89):
- Flüchtlinge/Zuwanderung: Hier ist die Rede von einer „Masseneinwanderung“, die gesteuert und begrenzt werden soll. Nur unzureichend wird zwischen Asylbewerbern und sonstigen Zuwanderern (z. B. EU-Binnenmigration) unterschieden; außerdem wird ausgeblendet, dass es parallel auch eine starke Abwanderung gibt und dass Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Staaten stark reglementiert ist.
- Islam: Im Kontext der Angst vor Überfremdung gerät insbesondere der Islam in den Blick. Mit der Thematisierung islamistischer Gewalt und dem Stichwort „Islamisierung“ kommen wir zu zwei grundlegenderen Aspekten: Sicherheit und Kultur.
- Sicherheit: U. a. wird eine Stärkung der Polizei verlangt, aber auch die Forderung nach konsequentem Vorgehen speziell gegenüber straffällig gewordenen Flüchtlingen und Migranten passt dazu und zeigt zugleich die besondere Fokussierung dieses Sicherheitsbedürfnisses auf die Konfrontation mit Fremden.
- Kultur: „Christliches Abendland“ ist nicht als Einsatz für ein lebendiges Christentum zu verstehen, sondern dient als Chiffre für die Bewahrung eines eher traditionalen, nicht von Pluralität geprägten Umfelds. Auch sonst steht hinter vielen Forderungen die Frage nach einer „deutschen Kultur“, die durch Migranten, Muslime etc. herausgefordert ist.
- „Genderisierung“ und Familienpolitik: Mit „Genderisierung“ wird Bezug genommen auf ein verschwörungstheoretisch geprägtes Konstrukt, das unter Missdeutung des Begriffs „Gender-Mainstreaming“ eine planmäßige Zerstörung traditioneller Sexualethik und Familien behauptet (vgl. Lamprecht 2010). Damit verknüpft ist die Sorge um den demographischen Wandel.
- Haltung zu Russland: Bei der Forderung nach einem neuen Verhältnis zu Russland könnte neben Kriegsangst auch die Vorstellung von Putin-Russland als einem Gegenmodell zu einem als zu liberal und pluralistisch empfundenen Europa/Deutschland mitspielen.
- EU: Auch wenn die EU in den Pegida-Papieren nicht ausdrücklich genannt wird, so ist doch offenkundig das Unbehagen an ihr der Subtext hinter manchen Forderungen. In den „Dresdner Thesen“ lässt sich etwa in der Forderung eines „friedlichen, europäischen Verbundes starker souveräner Nationalstaaten in freier politischer und wirtschaftlicher Selbstbestimmung“ der Entwurf eines Gegenmodells zur EU ausmachen.
- Politisches System/Volksentscheide: Pegida versteht sich als Bewegung, die Themen anspricht, mit denen Bürger sonst bei der etablierten Politik nur unzureichend Gehör fänden; diese Politik wird entsprechend kritisiert und besitzt bei den Pegida-Teilnehmern kaum Vertrauen. Dazu passen auch die Forderung nach Volksentscheiden auf Bundesebene sowie eine scharfe Medienkritik.
- Medienkritik: Das Schlagwort „Lügenpresse“ impliziert, dass die „Mainstream-Medien“ bewusst bestimmte Informationen und Themen unterdrücken würden.
Will man dieses Bündel an Themen und Forderungen auf einen Nenner bringen, könnte man von der Suche nach einer „rechten Alternativität“ sprechen – doch das bedarf näherer Erläuterung:
„Alternativität“ bedeutet, dass es nicht nur um die Korrektur einzelner Details geht, sondern um einen grundsätzlichen, umfassenden Wandel in Politik und Gesellschaft.
Weiterhin sind die Themen typisch für ein politisch „rechtes“ Spektrum (zur genaueren Bestimmung von „rechts“ siehe unten) – daran ändern auch vereinzelte Einsprengsel wie die Forderungen nach „sexueller Selbstbestimmung“ oder nach Aufnahme von Verfolgten nichts, ebenso wenig die proklamierte Ablehnung von Radikalismus.
Cantus firmus ist die Abwehr des bedrohlichen Fremden („Islamisierung“, „Masseneinwanderung“, fremde Kulturen, „Genderisierung“, in gewissem Sinne auch Souveränitätsabgabe an die EU, Kriminalität und sozialer Abstieg) zugunsten eines idealisierten Bildes vom „christlichen Abendland“, das für das Eigene, Gewohnte, Nicht-Plurale steht.
Auch wenn es vom Einzelnen durchaus Mut erfordern kann, bei einer Pegida-Demonstration mitzugehen, ist die Agenda von Pegida mehr noch als von Nöten und Sorgen von Ängsten geprägt: Angst vor Verlust (oder Teilen-Müssen) dessen, was man hat (sozial, kulturell, finanziell) – oder vor noch weiterem Verlust dessen, was man gerne hätte, was man aber sowieso nicht mehr hat (etwa eine einheitliche Gesellschaft); denn z. B. die Pluralisierung der deutschen Gesellschaft ist bereits ständig fortschreitende Realität. Gerade das mittelalterlich anmutende, letztlich aber romantisierende Bild vom „christlichen Abendland“ verweist auf ein deutliches Maß an Modernitätsverweigerung, gepaart mit einem ebenfalls deutlichen Maß an Realitätsverweigerung bis hin zu Verschwörungstheorien, was etwa den Blick auf die Realitäten von Migration, Medienbetrieb, „Islamisierung“ und internationaler Politik betrifft. (Zu den Verknüpfungen zu rechtspopulistischen und sogar rechtsextremen Agenden kommen wir gleich.)
Gerade der Tatsache, dass man sich mit solchen Forderungen tendenziell jenseits rationaler, seriöser öffentlicher Diskurse positioniert, korrespondiert aber ein weiteres Grundanliegen: der Wunsch nach Verständnis und Respekt, der Wunsch, Gehör zu finden bei den Medien und bei der Politik. Das passt dazu, wie Harald Lamprecht den Erfolg der Pegida-Bewegung gerade in Dresden erklärt: Neben dem Verweis auf die Anziehungskraft des „Originals“ und auf die mangelnden realen Erfahrungen im normalen Umgang mit Ausländern in Sachsen (da es dort nur recht wenige gibt) nennt er eine Unterentwicklung der demokratischen Kultur in Sachsen durch „über 25 Jahre stabile Machtverhältnisse“ (Lamprecht 2015, 89).
Trends, Akteure und Vernetzungen
Wir wollen in diesem Artikel ja Pegida als Symptom betrachten und so generellen Entwicklungen in der deutschen Gesellschaft auf die Spur kommen. Dazu begeben wir uns auf die Suche danach, wer sonst noch für Pegida typische Themen vertritt bzw. zu welchen Gruppen personelle Verbindungen bestehen.
Auch wenn sicherlich der größte Teil der Pegidateilnehmer ehrlichen Herzens erklären kann, nichts mit Nazis zu tun haben zu wollen: Ein großer Teil der oben genannten Themen deckt sich mit denen von Rechtspopulisten und -radikalen. An dieser grundsätzlichen Feststellung ändert auch nichts, dass in den beiden veröffentlichten Papieren von Pegida gemäßigter, konzilianter und differenzierter formuliert wird, als dies Rechtsextreme unter sich tun. Die Tendenz der Papiere und erst recht die der Reden bei den Versammlungen geht in die Richtung von rechtsextremen Polemiken gegen „Nichtdeutsche/Nichtdeutsches“ (Ausländer/Flüchtlinge, Islam) durch Überbetonung problematischer Aspekte, verbunden mit Forderungen nach kultureller Einheit und Stärkung des eigenen Volkes (Steigerung der Geburtenrate, EU- Feindlichkeit). Engelmann/Lamprecht zum Positionspapier: „Insgesamt scheint das Papier in seinem Grundduktus die Pegida-Bewegung in einer bürgerlichen Mitte positionieren zu wollen. Aber es enthält keine positiven Aussagen zu kultureller Vielfalt und bleibt daher an ein völkisch-nationalistisches Denken anschlussfähig“ (Engelmann/ Lamprecht 2015).
Doch nicht nur thematisch gibt es Nähe, sondern auch personell. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich auch Rechtsextreme unter den Pegidianern befinden. Olaf Sundermeyer identifiziert „rechtsmotivierte“ Hooligans als eine Kerntruppe – zu der Pegida-Gründer Lutz Bachmann gute Beziehungen hat (vgl. Sundermeyer 2015); ein wichtiges Verbindungsglied ist hierbei der Protest gegen Salafisten durch Hogesa (Hooligans gegen Salafisten), der im Oktober letzten Jahres in Köln zu schweren Ausschreitungen geführt hat. Noch deutlicher sind die Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum bei anderen „Gidas“, etwa bei Legida in Leipzig (vgl. Lamprecht 2015, 87 f.).
Es muss beunruhigen, dass sich Zehntausende von „normalen“ Bürgern in die Nähe von rechtsradikalen und rechtsextremen Akteuren begeben, doch wird das verständlich im Kontext gegenwärtiger rechter Strategien, die stark auf Themen, Aktivitäten und Medien mit Scharnierfunktion setzen: Anstatt mit offenkundig rechtsextremen und radikal formulierten Parolen abzuschrecken, gibt man sich gemäßigt, bürgernah, offen für die Sorgen der Menschen (vgl. Strube 2013, 31–35) – wie die Pegida-Papiere. Doch auch andere Organisationen, Aktionen Medien und Personen, die gar nicht aus dem politisch rechten Spektrum stammen, können eine solche Scharnierfunktion (ungewollt, aber möglicherweise grob fahrlässig) haben und damit zum „harten“ Rechtsextremismus hinführen. Wir werden im Folgenden einigen Beispielen begegnen.
Teilweise frappierend sind die Ähnlichkeiten zwischen den „Politischen Leitlinien der Alternative für Deutschland“ (AfD) (vgl. Politische Leitlinien 2015) und den Pegida-Papieren. Von daher verwundert es nicht, dass es auch Gespräche zwischen AfDlern und Pegida gegeben hat. Zudem deuten sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu Pegida auf eine hohe Affinität der Pegida-Teilnehmer zur AfD hin (vgl. Patriotische Europäer 2015). Die AfD ist zudem mit ihren Wahlerfolgen gerade bei den letzten Landtagswahlen in Ostdeutschland ein Indiz für das Potential an Menschen, das sich mit einer „rechten Alternative“ ansprechen lässt.
Auch bei anderen Parteien finden wir deutliche thematische Ähnlichkeiten: Die Christliche Mitte und ProNRW z. B. weisen ebenfalls in ihrer Programmatik die Verbindung von Schüren von Islamangst und Hochhalten einer „traditionellen Kultur“ auf. Doch sind diese Parteien vom Wahlerfolg her gesehen auf Deutschlandebene so unbedeutend, dass in ähnliche Richtungen gehende populistische Ausfälle von Politikern etablierter Parteien vielleicht als noch gefährlicher zu gewichten sind.
Einen näheren Blick lohnen Volksbewegungen der letzten Jahre. Die aktuellen Proteste gegen neue Stromtrassen in Bayern z. B. zeigen zwar keine thematische Nähe zu Pegida, demonstrieren aber, wie sich Bürger überregional vernetzen und vehement gegen gewählte Regierungen eigene Interessen durchzusetzen versuchen. Eine inhaltliche Verbindung besteht dagegen zu den Protesten gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg (wo es u. a. auch um Offenheit für verschiedene sexuelle Orientierungen geht) über das Thema „Genderisierung“ sowie zu vielen anderen mehr lokalen Protesten etwa gegen Asylbewerberunterkünfte. Das alles weist gemeinsam mit den Wahlerfolgen neu entstandener Parteien auf eine Suche nach Alternativen zu „etablierter“ Politik hin, die sich freilich zersplittert (besonders deutlich bei der Europawahl 2014: die Vielzahl von Kleinstparteien, die Mandate erhielten), in verschiedene politische Richtungen geht und sich oft nur in punktuellen Protesten äußert.
Gerade die bei Pegida-Kundgebungen üblichen „Lügenpresse“-Rufe führen uns zu den Medien, genauer: zu Verlagen, Internetressourcen und Publizisten, die das rechts-alternative Weltbild stützen, das wir bei Pegida finden. Hier kann nur exemplarisch Weniges genannt werden:
- Politically Incorrect: Dieser „Klassiker“ unter den islamfeindlichen Internetseiten, eng verbunden mit Pegida, sei stellvertretend für eine Vielzahl von anderen antiislamischen Websites genannt (vgl. die Liste bei Schiffer 2009, 341–343).
- Das Magazin „Blaue Narzisse“ und die Wochenzeit „Junge Freiheit“ sind zwei Beispiele für Medien aus dem Bereich der „Neuen Rechten“, beide mit Kontakten zu Pegida und zur AfD. Als „Scharniermedien“ stellen sie eine Verbindung zu explizit rechtsextremem Gedankengut her.
- Neben anderen Verlagen bietet insbesondere der Kopp-Verlag eine Fülle an alternativen, stark verschwörungstheoretisch geprägten Welterklärungen. Verschiedene Themen, die uns bei Pegida begegnen, kulminieren im Verlagsprogramm – exemplarisch in Udo Ulfkotte, der regelmäßig in diesem Verlag publiziert: zu „Islamisierung“, politischer Korrektheit, den Kosten von Migration … Derzeit ist sein Buch „Gekaufte Journalisten“ weit oben in der Spiegel-Bestsellerliste – ein deutlicher Hinweis auf das Verbreitungspotential solcher Stimmungsmache. Dass Ulfkotte am 5. Januar 2015 bei Pegida in Dresden als Redner auftrat, verwundert daher nicht.
- Wer von den Pegida-Thesen aus der Spur „Gender-Ideologie“ mit einer Internetsuchmaschine folgt, trifft auf ein Netzwerk von Akteuren, das zwei Merkmale aufweist: 1.) Die Verfechter dieser Theorie bewegen sich jenseits anerkannter wissenschaftlicher Diskurse. 2.) Neben den politisch rechten Kreisen, denen wir schon nachgegangen sind, treffen wir hier v. a. auf ein konservatives bis fundamentalistisches christliches Milieu. So sind auch die wohl prominentesten Vertreterinnen der Theorie im deutschsprachigen Raum, die Publizistinnen Gabriele Kuby und Birgit Kelle, im konservativ-fundamentalistischen Katholizismus beheimatet.
- Auch andere Pegida-Thematiken – etwa die Sehnsucht nach einem „christlichen Abendland“, Islamophobie oder der Widerstand gegen einen liberalen Medien-„Mainstream“ – finden sich in Medien von konservativ-fundamentalistischen Protestanten und Katholiken (vgl. Strube 2013, 57–66).
Manche Christen sind also durchaus empfänglich für rechtes Gedankengut, gerade wenn es als kompatibel mit konservativen/fundamentalistischen Glaubenspositionen präsentiert wird und mit einem kulturpessimistischen/dualistischen Gesellschafts- und Weltbild korreliert. Immer wieder sind auch Christen als Unterstützer und Teilnehmer der Pegida-Bewegung aufgefallen (vgl. exemplarisch Koch 2015).
Doch auch bei Menschen aus „esoterisch“-alternativen Kreisen können sich thematische Ähnlichkeiten zu einem rechts-alternativen Weltbild zeigen. Verbindungspunkt ist hier zum einen ein tief sitzendes Misstrauen gegen das herkömmliche „System“, das sich etwa in Impfverweigerung ausdrückt, da man der Pharmalobby (und den Mainstream-Medien) nicht traut; so können auch Verschwörungstheorien mit Rechten geteilt werden. Zum anderen und auf einer grundsätzlichen Ebene zeigen sich in esoterischen Kreisen die Unzufriedenheit mit den derzeitigen Bedingungen und die Suche nach einer alternativen Gesellschaft. Direkte personelle Verknüpfungen mit Pegida-Organisatoren sind zwar nicht erkennbar, doch zeigt die Existenz von „Brauner Esoterik“ (z. B. Reichsbürger-Bewegung, Ryke Geerd Hamer) die grundsätzliche Offenheit esoterischen Denkens auch für rechtes Gedankengut und die Gefahr, autoritäre, illiberale Strukturen hinzunehmen und zu schaffen.
Darüber hinaus lässt sich die Suche nach Alternativität als ein großer religiös-weltanschaulicher Trend ausmachen, der sich freilich in ganz unterschiedliche Richtungen ausdifferenziert: esoterisch, salafistisch, evangelikal, verschiedentlich neureligiös … – oder auch neoatheistisch. Dabei gibt es gelegentlich Überschneidungen mit rechten bzw. mit Pegida-Thematiken, doch lässt sich außer einer allgemeinen Unzufriedenheit mit den derzeitigen Verhältnissen wohl kaum ein gemeinsamer Nenner ausmachen. Deutlich wird aber: Viele Menschen sind empfänglich für Alternativität – oder auch nur für Kritik am Bestehenden.
Deutlich erkennbar sind dagegen viele internationale Verknüpfungen von Pegida: Man denke nur an die Pegida-Ableger im benachbarten europäischen Ausland oder daran, wie sich Pegida immer wieder auf das Vorbild anderer Länder bezieht. Dass es in anderen europäischen Ländern ein ähnliches Potential an Islam-, Ausländer- und EU-Feindlichkeit gibt, wurde etwa bei der Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten 2009 oder bei der letzten Europawahl deutlich.
Pegida & Co. – grundlegende Herausforderung unserer Gesellschaft
Pegida ist also keineswegs im luftleeren Raum entstanden. Vielmehr lässt sie sich einordnen in ein gewaltiges Netz aus thematischen und personellen Verknüpfungen – national und international. Die Verbindungslinien über Rechtspopulismus und die „Neue Rechte“ hinaus bis hin zum „harten“ Rechtsextremismus sind nicht zu leugnen, ebenso wenig aber auch die Anschlussfähigkeit an andere „Szenen“, z. B. die konservativ-fundamentalistischer Christen. Die wahre Bedeutung von Pegida als Symptom wird jedoch erst deutlich, wenn man bedenkt, wie typische Themen der „rechten Alternativität“ nicht nur Sympathien bei breiten Bevölkerungsschichten finden, sondern auch zumindest punktuell große Zahlen an Unterstützern außerhalb des engeren rechten Feldes aktivieren können: etwa als Nutzer einschlägiger Medien, bei Protestkundgebungen und bei Wahlen.
Vor diesem Hintergrund sind viele Teilnehmer von Pegida-Demonstrationen– die wegen einer gewissen Unzufriedenheit hingehen, wegen einer Beunruhigung, weil ihnen Dinge unter den Nägeln brennen, weil sie sich um ihr Land sorgen – nur bedingt „unschuldig“: im Sinne von „wohlmeinend“, aber auch „naiv“. Denn viele Akteure in Dresden und erst recht in anderen „Gidas“ sind keineswegs „unschuldig“, sondern stehen in Kontakt oder sind selbst Mitglied der rechten/rechtsextremen Szene. Und genauso wenig „unschuldig“ sind viele der Themen und der damit verbundenen Theorien, die die Pegida-Bewegung transportiert. Ein „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen!“, das man angesichts eines solchen Vorwurfs schnell hört, ist Problemanzeige: Gerade die vordergründige „Verbürgerlichung“ verschleiert einen erbitterten Kulturkampf, eine Gefahr für unsere Gesellschaft, unsere Demokratie und unsere Verfassung – und letztlich für Leib und Leben.
Die oben skizzierte „rechte Alternativität“ zielt nämlich in letzter Konsequenz nicht auf eine Reform, sondern auf eine Ersetzung von freiheitlicher und pluralistischer Gesellschaft und Demokratie. Deshalb steht sie zu Recht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und wird im Kontext einer wehrhaften Demokratie auch bekämpft. Die „Softversionen“ – etwa die „Neue Rechte“ und „Pegida“ – sind wohl nicht weniger gefährlich, da sie eine größere Breitenwirkung entfalten und durch die Hintertür rechtsextremes Gedankengut transportieren. Sie lassen sich aber durchaus auch als fundamentale Anfragen an das derzeitige Deutschland lesen. (Damit ist noch nichts dazu gesagt, ob man über diese Fragen eine Diskussion mit rechten Kreisen versuchen soll oder ob man dies lieber vermeidet, um diesen kein öffentliches Podium zu bieten.) Solche Grundfragen betreffen u. a. folgende Bereiche:
- Demokratie: Demokratische Prozesse und Entscheidungen sind häufig langwierig, mühsam und von Kompromissen geprägt – und können es nicht jedem recht machen. Das lässt manche Menschen nach „Abkürzungen“ (z. B. Volksentscheide) und nach Alternativstrukturen (die „Straße“ oder gar die Abschaffung von Demokratie) suchen. Eine wachsende Zahl von Nichtwählern wirft die Frage auf, wie viel bürgerlichen Einsatz unsere Demokratie braucht, und umgekehrt, wie viel politische Abstinenz sie noch verträgt.
- Pluralismus: Bekennt man sich zu einer offenen, pluralen Gesellschaft? Oder meint man, etwa aus „Selbstschutz“ die kulturelle Vielfalt zugunsten einer stärkeren Homogenität einschränken zu müssen? Dies tangiert jedoch den Gleichheitsgrundsatz und andere fundamentale Menschenrechte.
- Integration: Erwartet man Integration – etwa gar im Sinne völliger Assimilierung – nur von den „anderen“? Oder ist Integration angesichts einer sich ständig wandelnden gesellschaftlichen Realität nicht eine Daueraufgabe für jeden, eine durchaus auch bereichernde Herausforderung?
- Solidarität: Wie viel Solidarität wagt man? Gilt diese Solidarität vornehmlich den „eigenen Leuten“, oder nimmt man gerade auch die Benachteiligten, die Randgruppen, die Fremden in den Blick? Wie weit haben „nationale Interessen“ Vorrang – und was sind überhaupt diese „nationalen Interessen“ in einer zunehmend global vernetzten Welt?
- Informations- und Diskussionskultur: Wer hat die Meinungshoheit? Wie weit gilt Meinungsfreiheit? Inwieweit werden „abweichende“, „unliebsame“ Meinungen toleriert? Und wie geht man mit anderen Meinungen und mit Andersdenkenden um: sachlich, fair und differenziert argumentierend oder polemisierend und mit Mitteln der Stimmungsmache? Schließlich: Ist man bereit, sich von seriöser, wissenschaftlicher Empirie leiten zu lassen, oder stützt man sich blickverengt und ohne ausreichende Qualitätsprüfung auf „Informationen“, die zur eigenen Meinung passen, und blendet andere aus?
- Religionsfreiheit: Ein Lackmustest für die eigene Haltung zu Pluralität, Freiheit und Menschenrechten ist der Umgang mit Religionsfreiheit, da gerade Religion oft mit Emotionen und ganz persönlichen Überzeugungen verbunden ist. Bei Muslimen in Deutschland kommt zudem als weiteres Element stark die Konfrontation mit einer fremden Kultur hinzu – und islamistischer Fundamentalismus und Terrorismus machen erst recht einen offenen und zugleich kritischen Umgang mit dem Islam zu einer Gratwanderung.
Insgesamt stellt sich also die Frage, ob das derzeitige deutsche „System“ – freiheitliche Demokratie, Pluralismus, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, soziale Marktwirtschaft, europäische Einbindung via EU etc. – auch angesichts großer Herausforderungen weiterhin trägt. Die „rechte Alternative“ scheint diese Ordnung, die die Menschen in einem großen Maß an Freiheit, Sicherheit, Frieden und Wohlstand leben lässt, insbesondere am „Ansetzpunkt“ Pluralismus über den „Hebel“ Selbstschutz/Bewahrung des Eigenen anzugehen. Menschen, die sich von dieser rechten Problematisierung ansprechen lassen und beispielsweise in bester Absicht und fernab von Sympathien für Rechtsextremismus bei Pegida mitlaufen, übersehen freilich, dass sie über diesen „Ansetzpunkt“ auch die anderen System-Bausteine, also das ganze demokratische Gefüge ins Wanken bringen können.
Entlarvend für diese wohlmeinende, aber gefährliche Naivität ist die Sympathie mancher für Putin-Russland, das sich derzeit als das große Gegenmodell zur (west-)europäischen Friedensordnung geriert. Andreas Püttmann schilderte jüngst in einem Aufsatz (vgl. Püttmann 2015), welche Faszination das Putin-Reich auf konservative und fundamentalistische Christen auszuüben vermag, weil diese auf bestimmte konservativ-reaktionäre Aspekte russischer Politik (z. B. Förderung großer Familien, schwulenfeindliche Politik, Hochhalten traditioneller Werte) fixiert sind und anderes ausblenden: die Zerstörung von Demokratie und Freiheit in Russland sowie die Durchsetzung machtpolitischer Interessen mit Gewalt.
Hier wird das Gefährliche dieser „naiven“, „unschuldigen“, wohlmeinenden „Vorbehalte“ gegenüber der derzeitigen gesellschaftlichen Realität in Deutschland deutlich: In ihnen liegt eine schleichende Bedrohung – zuerst für Minderheiten, dann aber auch für die breite Masse der Bevölkerung. Dennoch: Es soll hier kein Alarmismus betrieben werden. Die deutsche Zivilgesellschaft ist widerstandsfähig, und man kann sie sogar als durch die Auseinandersetzung mit Pegida gestärkt betrachten (so Olaf Sundermeyer bei einem Vortrag).
Aber Wachsamkeit ist geboten – und Engagement. Das gilt auch für die Kirche, ist sie doch nicht nur kritischer Beobachter, sondern schon längst in Pegida & Co. „verwickelt“ und an manchen Stellen unmittelbar herausgefordert.
Und die Kirche?
Was ist also Aufgabe von Kirche – im Sinne einer missionarischen Pastoral, die sich von einer frohen Botschaft in Auftrag nehmen lässt, die dem Leben dient, gerade auch dem der Schwachen, Ausgegrenzten und Fremden?
Zuerst einmal geht es darum, die eigene Position zu klären. Zwar haben sich die christlichen Kirchen in Sachsen von Pegida distanziert – was wichtig und notwendig war. Doch treffen solche Distanzierungen nur die Spitze des Eisberges bzw. ein Symptom eines ganzen rechten Netzwerkes. Und auch wenn es eigentlich klar zu sein scheint, dass Christen in Deutschland auf der Seite von Demokratie, Freiheit, Religionsfreiheit, Solidarität mit Flüchtlingen etc. stehen: Dass nicht wenige Christen bei Pegida mitlaufen und Nähe zu neurechten Kreisen pflegen, dass einschlägig bekannte Christen und Organisationen von Christen Unterstützung und Förderung von manchen kirchlichen Amtsträgern erhalten, zeigt, dass man von einem Konsens in der Bewertung und im Umgang mit latent rechtsradikalem Gedankengut und diesem nahestehenden Bewegungen weit entfernt ist.
Die nicht nur medialen Diskussionen, als Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation der Bischöfe der islamophoben und letztlich demokratiefeindlichen Piusbruderschaft aufhob, kann man als Warnschuss betrachten. Es ist vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis auch der Kirche in Deutschland entsprechende Versäumnisse und Unachtsamkeiten auf die Füße fallen. Die Evangelische Allianz in Deutschland – Dachverband evangelikaler und damit häufig sehr konservativ eingestellter Christen – hat bereits regelmäßig mit Vorwürfen zu großer Nähe zu rechten Kreisen zu kämpfen. So ist es zu begrüßen, wenn Kirchenleitungen im gebotenen Fall Äußerungen von kirchlichen Mitarbeitern entschieden zurückweisen – so etwa der Münsteraner Bischof bei einem Geistlichen, der im Januar in Duisburg bei einer Pegida-Kundgebung gesprochen hat (vgl. Bischof Genn 2015).
Doch nicht (nur) der mögliche Imageschaden sollte zu einer strategischen Klärung bewegen. Vielmehr ist christlicher Glaube in wesentlichen Punkten herausgefordert:
- Ist es mit christlicher Nächstenliebe vereinbar, Menschen mit anderer Lebensweise zu diskriminieren und die Solidarität auf die „eigenen Leute“ zu beschränken?
- Widerspricht es nicht dem Gebot der Wahrhaftigkeit, wenn nicht rationaler Diskurs, sondern polemische Stimmungsmache das Handeln bestimmt?
- Ist ein (tendenziell) dualistisches Weltbild, das Säkularisierung und Pluralisierung einseitig als Kulturverfall zeichnet, gerade nach dem Zweiten Vatikanum für Katholiken noch vertretbar?
- Ist das Bekenntnis zur Glaubens- und Religionsfreiheit, wie es etwa das Konzil in Dignitatis humanae formuliert hat, in seiner vollen Konsequenz schon in den Herzen der breiten Masse der Gläubigen angekommen? (Denn zu solcher Religionsfreiheit gehört etwa auch das Recht auf öffentliche Religionsausübung!)
Das sind nicht Stil-, sondern Kernfragen für einen verantworteten Glauben!
Was kann also Kirche tun – außer einer konsequenten, glaubwürdigen Distanzierung von rechten Denk- und Argumentationsstrukturen und deren Vertretern, auch in den eigenen Reihen? Und wie vermeidet man dabei unnötige Ausgrenzungen, geht vielmehr in angemessener Weise auf Sorgen und Bedenken gerade konservativer Christen ein?
Zu suchen wäre nach einer positiven, konstruktiven Konservativität, die sich nicht durch Verweigerung gegenüber der Modernisierung und eine Verteufelung des „Zeitgeistes“, sondern durch ein Bewahren (conservare) – genauer: ein gemäß den „Zeichen der Zeit“ anpassendes Bewahren – christlicher Traditionen auszeichnet. Letztlich ist angesichts globaler grundsätzlicher Herausforderungen und Missstände eine „christliche Alternativität“ gefragt. Eine solche Alternativität kann sich aber nur christlich nennen, wenn sie nicht bei Forderungen und Thesen stehen bleibt, sondern sich in gesellschaftlichem Einsatz und engagiertem Tun verwirklicht.
Dabei können die Kirchen an ihre Bildungsarbeit (Kitas, Schulen, Jugend- und Erwachsenenbildung) anknüpfen. Gerade auch die Pegida-Proteste weisen auf erhebliche Wissenslücken bezüglich anderer Religionen, anderer Lebenswelten (z. B. von Flüchtlingen und Schwulen), politischer und globaler Zusammenhänge und nicht zuletzt auch (neu-) rechter Strukturen hin. Weiterhin fehlt es an Wissen über Elemente eines positiven christlichen Gegenmodells zu „rechter Alternativität“; der Schatz des christlichen Glaubens muss dafür immer wieder neu erschlossen werden.
Doch solches Wissen allein reicht nicht. Wichtig ist die Fähigkeit, Informationen und Aussagen richtig einschätzen zu können. Denn rechte Stimmungsmache basiert wesentlich auf der Zeichnung von Bedrohungsszenarien, häufig mit unredlichen Mitteln: Fakten werden verdreht, durch die Aneinanderreihung von einzelnen Beispielen werden nicht gegebene Regelmäßigkeiten suggeriert, Gegenbeispiele werden unterschlagen, man greift nur auf einem genehme Quellen zurück und ignoriert abweichende Meinungen (wenn man sie nicht lächerlich macht), Klischees und Vorurteile werden gezielt angesprochen, Spekulationen und gesicherte Informationen werden miteinander vermengt, Gegner werden durch Wortneuschöpfungen dämonisiert, schier übermächtige feindliche Seilschaften werden konstruiert – und all das ist durchsetzt mit einer großen Portion Verschwörungstheorien. Man merkt: „Klassisches“ Lügen ist nur eine Option neben anderen! Natürlich ist es für einen Nicht-Fachmann kaum möglich festzustellen, ob in einer Darstellung wichtige Fakten verschwiegen werden und dadurch ein falsches Bild entsteht – aber eine Sensibilisierung für manche Merkmale von unseriöser Meinungsmache ist in einer liberalen Gesellschaft eine zentrale Bildungsaufgabe: auch für kirchliche Einrichtungen.
Schließlich hat Pegida zumindest eines bewirkt: ein neues Gespür für die Notwendigkeit einer Diskussionskultur, in der auch kontroverse Meinungen zusammenprallen dürfen, in der Menschen mit ihren Anliegen ernst genommen werden, die aber andererseits nicht von Extremisten missbraucht wird. Darum muss sich auch Kirche immer wieder bemühen: um ein gemeinsames, faires, kultiviertes Ringen um gute Wege für unsere Gesellschaft – Wege, in denen sich das Evangelium inkulturiert.
Stand: 30.3.2015