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Pegida & Co. – Herausforderung für Gesellschaft und Kirche

Pegida ist nicht nur ein Demonstrationszug in Dresden, sondern auch ein Symptom für eine Suche nach „rechter Alternativität“ in breiten Schichten der Bevölkerung. Somit weist Pegida auf Herausforderungen für unsere Ge­sellschaft und – gerade im Sinne einer missionarischen Pastoral – für die Kirche hin. Dem geht dieser Essay nach – in aller Kürze und (gerade ange­sichts der weiterhin stattfindenden Pegida-Demonstrationen) auch in aller Vorläufigkeit.

Erinnert sich eigentlich noch jemand an … Pegida? Zum Jahreswechsel 2014/2015 schien sich die Zahl der Teilnehmer jede Woche zu vergrö­ßern – in Dresden waren es nach Polizeiangaben bis zu 25.000 –, und Ableger schossen in ganz Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Doch mittlerweile ist die Pegida-Bewegung weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. Heißt das, dass wir sie getrost vergessen können?

Nicht, wenn man Pegida als ein Symptom für größere Konstellationen und grundlegende Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaft be­trach­tet. Dann kann das Pegida-Phänomen ein heuristisches Mittel darstellen, um aktuelle Herausforderungen zu identifizieren – gerade auch für Kirche und Christentum, und das nicht nur, aber auch, weil es eine deutliche Nähe mancher kirchlicher Kreise zu Pegida & Co. gibt. Machen wir uns also auf die Suche nach diesem „& Co.“, indem wir typi­sche Themen und Forderungen der Dresdner Pegida-Bewegung als Aus­gangspunkt nehmen.

Themen und Forderungen

Bei dieser Suche sind das „Positionspapier“ der Pegida vom Dezember 2014 sowie die neueren „Dresdner Thesen“ (von Mitte Februar 2015) zwar durchaus hilfreich (vgl. Positionspapier 2014; Dresdner Thesen 2015); doch ist Etliches unklar formuliert, und die Zusammenstellung von Aussagen im Positionspapier wirkt ziemlich ungeordnet, geradezu wirr. Zudem stellten Beobachter eine deutliche Diskrepanz zwischen dem wie einem Feigenblatt hochgehaltenen Positionspapier und dem auf den Demonstrationen Gesagten fest, wo oftmals nicht nur einseiti­ger als im Papier gesprochen und polemisiert wurde, sondern auch noch andere Themen angesprochen wurden. So haben wir es mit einer Fülle von Forderungen und Themen zu tun, aus der wir nur einige herausgrei­fen können (vgl. dazu Engelmann/Lamprecht 2015; Lamprecht 2015, 85–89):

  • Flüchtlinge/Zuwanderung: Hier ist die Rede von einer „Massenein­wan­derung“, die gesteuert und begrenzt werden soll. Nur unzurei­chend wird zwischen Asylbewerbern und sonstigen Zuwanderern (z. B. EU-Binnenmigration) unterschieden; außerdem wird ausge­blen­det, dass es parallel auch eine starke Abwanderung gibt und dass Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Staaten stark reglementiert ist.

  • Islam: Im Kontext der Angst vor Überfremdung gerät insbesondere der Islam in den Blick. Mit der Thematisierung islamistischer Gewalt und dem Stichwort „Islamisierung“ kommen wir zu zwei grundle­gen­deren Aspekten: Sicherheit und Kultur.

  • Sicherheit: U. a. wird eine Stärkung der Polizei verlangt, aber auch die Forderung nach konsequentem Vorgehen speziell gegenüber straffäl­lig gewordenen Flüchtlingen und Migranten passt dazu und zeigt zu­gleich die besondere Fokussierung dieses Sicherheitsbedürfnisses auf die Konfrontation mit Fremden.

  • Kultur: „Christliches Abendland“ ist nicht als Einsatz für ein lebendi­ges Christentum zu verstehen, sondern dient als Chiffre für die Be­wah­rung eines eher traditionalen, nicht von Pluralität geprägten Umfelds. Auch sonst steht hinter vielen Forderungen die Frage nach einer „deutschen Kultur“, die durch Migranten, Muslime etc. heraus­gefordert ist.

  • „Genderisierung“ und Familienpolitik: Mit „Genderisierung“ wird Be­zug genommen auf ein verschwörungstheoretisch geprägtes Kon­strukt, das unter Missdeutung des Begriffs „Gender-Mainstreaming“ eine planmäßige Zerstörung traditioneller Sexualethik und Familien behauptet (vgl. Lamprecht 2010). Damit verknüpft ist die Sorge um den demographischen Wandel.

  • Haltung zu Russland: Bei der Forderung nach einem neuen Verhältnis zu Russland könnte neben Kriegsangst auch die Vorstellung von Putin-Russland als einem Gegenmodell zu einem als zu liberal und pluralistisch empfundenen Europa/Deutschland mitspielen.

  • EU: Auch wenn die EU in den Pegida-Papieren nicht ausdrücklich genannt wird, so ist doch offenkundig das Unbehagen an ihr der Subtext hinter manchen Forderungen. In den „Dresdner Thesen“ lässt sich etwa in der Forderung eines „friedlichen, europäischen Verbundes starker souveräner Nationalstaaten in freier politischer und wirtschaftlicher Selbstbestimmung“ der Entwurf eines Gegen­modells zur EU ausmachen.

  • Politisches System/Volksentscheide: Pegida versteht sich als Bewe­gung, die Themen anspricht, mit denen Bürger sonst bei der etablier­ten Politik nur unzureichend Gehör fänden; diese Politik wird ent­spre­chend kritisiert und besitzt bei den Pegida-Teilnehmern kaum Vertrauen. Dazu passen auch die Forderung nach Volksentscheiden auf Bundesebene sowie eine scharfe Medienkritik.

  • Medienkritik: Das Schlagwort „Lügenpresse“ impliziert, dass die „Mainstream-Medien“ bewusst bestimmte Informationen und Themen unterdrücken würden.

Will man dieses Bündel an Themen und Forderungen auf einen Nenner bringen, könnte man von der Suche nach einer „rechten Alternativität“ sprechen – doch das bedarf näherer Erläuterung:

„Alternativität“ bedeutet, dass es nicht nur um die Korrektur einzelner Details geht, sondern um einen grundsätzlichen, umfassenden Wandel in Politik und Gesellschaft.

Weiterhin sind die Themen typisch für ein politisch „rechtes“ Spektrum (zur genaueren Bestimmung von „rechts“ siehe unten) – daran ändern auch vereinzelte Einsprengsel wie die Forderungen nach „sexueller Selbst­bestimmung“ oder nach Aufnahme von Verfolgten nichts, ebenso wenig die proklamierte Ablehnung von Radikalismus.

Cantus firmus ist die Abwehr des bedrohlichen Fremden („Islamisie­rung“, „Masseneinwanderung“, fremde Kulturen, „Genderisierung“, in gewissem Sinne auch Souveränitätsabgabe an die EU, Kriminalität und sozialer Abstieg) zugunsten eines idealisierten Bildes vom „christlichen Abendland“, das für das Eigene, Gewohnte, Nicht-Plurale steht.

Auch wenn es vom Einzelnen durchaus Mut erfordern kann, bei einer Pegida-Demonstration mitzugehen, ist die Agenda von Pegida mehr noch als von Nöten und Sorgen von Ängsten geprägt: Angst vor Verlust (oder Teilen-Müssen) dessen, was man hat (sozial, kulturell, finanziell) – oder vor noch weiterem Verlust dessen, was man gerne hätte, was man aber sowieso nicht mehr hat (etwa eine einheitliche Gesellschaft); denn z. B. die Pluralisierung der deutschen Gesellschaft ist bereits stän­dig fortschreitende Realität. Gerade das mittelalterlich anmutende, letztlich aber romantisierende Bild vom „christlichen Abendland“ ver­weist auf ein deutliches Maß an Modernitätsverweigerung, gepaart mit einem ebenfalls deutlichen Maß an Realitätsverweigerung bis hin zu Verschwörungstheorien, was etwa den Blick auf die Realitäten von Migra­tion, Medienbetrieb, „Islamisierung“ und internationaler Politik betrifft. (Zu den Verknüpfungen zu rechtspopulistischen und sogar rechtsextremen Agenden kommen wir gleich.)

Gerade der Tatsache, dass man sich mit solchen Forderungen tendenzi­ell jenseits rationaler, seriöser öffentlicher Diskurse positioniert, kor­res­pondiert aber ein weiteres Grundanliegen: der Wunsch nach Verständ­nis und Respekt, der Wunsch, Gehör zu finden bei den Medien und bei der Politik. Das passt dazu, wie Harald Lamprecht den Erfolg der Pegida-Bewegung gerade in Dresden erklärt: Neben dem Verweis auf die Anzie­hungskraft des „Originals“ und auf die mangelnden realen Erfahrungen im normalen Umgang mit Ausländern in Sachsen (da es dort nur recht wenige gibt) nennt er eine Unterentwicklung der demokratischen Kul­tur in Sachsen durch „über 25 Jahre stabile Machtverhältnisse“ (Lamprecht 2015, 89).

Trends, Akteure und Vernetzungen

Wir wollen in diesem Artikel ja Pegida als Symptom betrachten und so generellen Entwicklungen in der deutschen Gesellschaft auf die Spur kommen. Dazu begeben wir uns auf die Suche danach, wer sonst noch für Pegida typische Themen vertritt bzw. zu welchen Gruppen perso­nelle Verbindungen bestehen.

 

Auch wenn sicherlich der größte Teil der Pegidateilnehmer ehrlichen Herzens erklären kann, nichts mit Nazis zu tun haben zu wollen: Ein großer Teil der oben genannten Themen deckt sich mit denen von Rechtspopulisten und -radikalen. An dieser grundsätzlichen Fest­stellung ändert auch nichts, dass in den beiden veröffentlichten Papie­ren von Pegida gemäßigter, konzilianter und differenzierter formuliert wird, als dies Rechtsextreme unter sich tun. Die Tendenz der Papiere und erst recht die der Reden bei den Versammlungen geht in die Rich­tung von rechtsextremen Polemiken gegen „Nichtdeutsche/Nichtdeut­sches“ (Ausländer/Flüchtlinge, Islam) durch Überbetonung problema­tischer Aspekte, verbunden mit Forderungen nach kultureller Einheit und Stärkung des eigenen Volkes (Steigerung der Geburtenrate, EU- Feind­lichkeit). Engelmann/Lamprecht zum Positionspapier: „Insge­samt scheint das Papier in seinem Grundduktus die Pegida-Bewegung in einer bürgerlichen Mitte positionieren zu wollen. Aber es enthält keine positiven Aussagen zu kultureller Vielfalt und bleibt daher an ein völkisch-nationalistisches Denken anschlussfähig“ (Engelmann/ Lamprecht 2015).

Doch nicht nur thematisch gibt es Nähe, sondern auch personell. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich auch Rechtsextreme unter den Pegidia­nern befinden. Olaf Sundermeyer identifiziert „rechtsmotivierte“ Hooli­gans als eine Kerntruppe – zu der Pegida-Gründer Lutz Bachmann gute Beziehungen hat (vgl. Sundermeyer 2015); ein wichtiges Verbindungs­glied ist hierbei der Protest gegen Salafisten durch Hogesa (Hooligans gegen Salafisten), der im Oktober letzten Jahres in Köln zu schweren Ausschreitungen geführt hat. Noch deutlicher sind die Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum bei anderen „Gidas“, etwa bei Legida in Leipzig (vgl. Lamprecht 2015, 87 f.).

 

Es muss beunruhigen, dass sich Zehntausende von „normalen“ Bürgern in die Nähe von rechtsradikalen und rechtsextremen Akteuren begeben, doch wird das ver­ständlich im Kontext gegenwärtiger rechter Strate­gien, die stark auf Themen, Aktivitäten und Medien mit Scharnierfunk­tion setzen: Anstatt mit offenkundig rechtsextremen und radikal for­mulierten Parolen ab­zu­schrecken, gibt man sich gemäßigt, bürgernah, offen für die Sorgen der Menschen (vgl. Strube 2013, 31–35) – wie die Pegida-Papiere. Doch auch andere Organisationen, Aktionen Medien und Personen, die gar nicht aus dem politisch rechten Spektrum stam­men, können eine solche Scharnierfunktion (ungewollt, aber mögli­cherweise grob fahrlässig) haben und damit zum „harten“ Rechts­extremismus hinführen. Wir werden im Folgenden einigen Beispielen begegnen.

 

Teilweise frappierend sind die Ähnlichkeiten zwischen den „Politischen Leitlinien der Alternative für Deutschland“ (AfD) (vgl. Politische Leitli­nien 2015) und den Pegida-Papieren. Von daher verwundert es nicht, dass es auch Gespräche zwischen AfDlern und Pegida gegeben hat. Zu­dem deuten sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu Pegida auf eine hohe Affinität der Pegida-Teilnehmer zur AfD hin (vgl. Patriotische Eu­ro­päer 2015). Die AfD ist zudem mit ihren Wahlerfolgen gerade bei den letzten Landtagswahlen in Ostdeutschland ein Indiz für das Potential an Menschen, das sich mit einer „rechten Alternative“ ansprechen lässt.

Auch bei anderen Parteien finden wir deutliche thematische Ähnlich­kei­ten: Die Christliche Mitte und ProNRW z. B. weisen ebenfalls in ihrer Programmatik die Verbindung von Schüren von Islamangst und Hoch­halten einer „traditionellen Kultur“ auf. Doch sind diese Parteien vom Wahlerfolg her gesehen auf Deutschlandebene so unbedeutend, dass in ähnliche Richtungen gehende populistische Ausfälle von Politikern eta­blierter Parteien vielleicht als noch gefährlicher zu gewichten sind.

 

Einen näheren Blick lohnen Volksbewegungen der letzten Jahre. Die ak­tuellen Proteste gegen neue Stromtrassen in Bayern z. B. zeigen zwar keine thematische Nähe zu Pegida, demonstrieren aber, wie sich Bürger überregional vernetzen und vehement gegen gewählte Regierungen ei­ge­ne Interessen durchzusetzen versuchen. Eine inhaltliche Verbindung besteht dagegen zu den Protesten gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg (wo es u. a. auch um Offenheit für verschiedene sexuelle Orientierungen geht) über das Thema „Genderisierung“ sowie zu vielen anderen mehr lokalen Protesten etwa gegen Asylbewerberunterkünfte. Das alles weist gemeinsam mit den Wahlerfolgen neu entstandener Par­teien auf eine Suche nach Alternativen zu „etablierter“ Politik hin, die sich freilich zersplittert (besonders deutlich bei der Europawahl 2014: die Vielzahl von Kleinstparteien, die Mandate erhielten), in verschiede­ne politische Richtungen geht und sich oft nur in punktuellen Protesten äußert.

 

Gerade die bei Pegida-Kundgebungen üblichen „Lügenpresse“-Rufe füh­ren uns zu den Medien, genauer: zu Verlagen, Internetressourcen und Publizisten, die das rechts-alternative Weltbild stützen, das wir bei Pegi­da finden. Hier kann nur exemplarisch Weniges genannt werden:

  • Politically Incorrect: Dieser „Klassiker“ unter den islamfeindlichen Internetseiten, eng verbunden mit Pegida, sei stellvertretend für eine Vielzahl von anderen antiislamischen Websites genannt (vgl. die Liste bei Schiffer 2009, 341–343).

  • Das Magazin „Blaue Narzisse“ und die Wochenzeit „Junge Freiheit“ sind zwei Beispiele für Medien aus dem Bereich der „Neuen Rech­ten“, beide mit Kontakten zu Pegida und zur AfD. Als „Scharnierme­dien“ stellen sie eine Verbindung zu explizit rechtsextremem Gedan­kengut her.

  • Neben anderen Verlagen bietet insbesondere der Kopp-Verlag eine Fül­le an alternativen, stark verschwörungstheoretisch geprägten Welt­erklärungen. Verschiedene Themen, die uns bei Pegida begeg­nen, kulminieren im Verlagsprogramm – exemplarisch in Udo Ulfkotte, der regelmäßig in diesem Verlag publiziert: zu „Islamisie­rung“, politischer Korrektheit, den Kosten von Migration … Derzeit ist sein Buch „Gekaufte Journalisten“ weit oben in der Spiegel-Best­sellerliste – ein deutlicher Hinweis auf das Verbreitungspotential solcher Stimmungsmache. Dass Ulfkotte am 5. Januar 2015 bei Pegida in Dresden als Redner auftrat, verwundert daher nicht.

  • Wer von den Pegida-Thesen aus der Spur „Gender-Ideologie“ mit einer Internetsuchmaschine folgt, trifft auf ein Netzwerk von Akteu­ren, das zwei Merkmale aufweist: 1.) Die Verfechter dieser Theorie bewegen sich jenseits anerkannter wissenschaftlicher Diskurse. 2.) Neben den politisch rechten Kreisen, denen wir schon nach­gegangen sind, treffen wir hier v. a. auf ein konservatives bis funda­mentalisti­sches christliches Milieu. So sind auch die wohl promi­nentesten Ver­treterinnen der Theorie im deutschsprachigen Raum, die Publizistin­nen Gabriele Kuby und Birgit Kelle, im konservativ-fundamentalisti­schen Katholizismus beheimatet.

  • Auch andere Pegida-Thematiken – etwa die Sehnsucht nach einem „christlichen Abendland“, Islamophobie oder der Widerstand gegen einen liberalen Medien-„Mainstream“ – finden sich in Medien von konservativ-fundamentalistischen Protestanten und Katholiken (vgl. Strube 2013, 57–66).

 

Manche Christen sind also durchaus empfänglich für rechtes Gedanken­gut, gerade wenn es als kompatibel mit konservativen/fundamenta­lis­tischen Glaubenspositionen präsentiert wird und mit einem kulturpes­si­mistischen/dualistischen Gesellschafts- und Weltbild korreliert. Im­mer wieder sind auch Christen als Unterstützer und Teilnehmer der Pegida-Bewegung aufgefallen (vgl. exemplarisch Koch 2015).

 

Doch auch bei Menschen aus „esoterisch“-alternativen Kreisen können sich thematische Ähnlichkeiten zu einem rechts-alternativen Weltbild zeigen. Verbindungspunkt ist hier zum einen ein tief sitzendes Miss­trauen gegen das herkömmliche „System“, das sich etwa in Impfverwei­gerung ausdrückt, da man der Pharmalobby (und den Mainstream-Me­dien) nicht traut; so können auch Verschwörungstheorien mit Rechten geteilt werden. Zum anderen und auf einer grundsätzlichen Ebene zei­gen sich in esoterischen Kreisen die Unzufriedenheit mit den derzeiti­gen Bedingungen und die Suche nach einer alternativen Gesellschaft. Direkte personelle Verknüpfungen mit Pegida-Organisatoren sind zwar nicht erkennbar, doch zeigt die Existenz von „Brauner Esoterik“ (z. B. Reichsbürger-Bewegung, Ryke Geerd Hamer) die grundsätzliche Offen­heit esoterischen Denkens auch für rechtes Gedankengut und die Ge­fahr, autoritäre, illiberale Strukturen hinzunehmen und zu schaffen.

Darüber hinaus lässt sich die Suche nach Alternativität als ein großer religiös-weltanschaulicher Trend ausmachen, der sich freilich in ganz unterschiedliche Richtungen ausdifferenziert: esoterisch, salafistisch, evangelikal, verschiedentlich neureligiös … – oder auch neoatheistisch. Dabei gibt es gelegentlich Überschneidungen mit rechten bzw. mit Pegi­da-Thematiken, doch lässt sich außer einer allgemeinen Unzufrieden­heit mit den derzeitigen Verhältnissen wohl kaum ein gemeinsamer Nen­ner ausmachen. Deutlich wird aber: Viele Menschen sind empfäng­lich für Alternativität – oder auch nur für Kritik am Bestehenden.

 

Deutlich erkennbar sind dagegen viele internationale Verknüpfungen von Pegida: Man denke nur an die Pegida-Ableger im benachbarten eu­ro­päischen Ausland oder daran, wie sich Pegida immer wieder auf das Vorbild anderer Länder bezieht. Dass es in anderen europäischen Län­dern ein ähnliches Potential an Islam-, Ausländer- und EU-Feindlichkeit gibt, wurde etwa bei der Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten 2009 oder bei der letzten Europawahl deutlich.

Pegida & Co. – grundlegende Herausforderung unserer Gesellschaft

Pegida ist also keineswegs im luftleeren Raum entstanden. Vielmehr lässt sie sich einordnen in ein gewaltiges Netz aus thematischen und personellen Verknüpfungen – national und international. Die Verbin­dungslinien über Rechtspopulismus und die „Neue Rechte“ hinaus bis hin zum „harten“ Rechtsextremismus sind nicht zu leugnen, ebenso wenig aber auch die Anschlussfähigkeit an andere „Szenen“, z. B. die konservativ-fundamentalistischer Christen. Die wahre Bedeutung von Pegida als Symptom wird jedoch erst deutlich, wenn man bedenkt, wie typische Themen der „rechten Alternativität“ nicht nur Sympathien bei breiten Bevölkerungsschichten finden, sondern auch zumindest punk­tu­ell große Zahlen an Unterstützern außerhalb des engeren rechten Fel­des aktivieren können: etwa als Nutzer einschlägiger Medien, bei Pro­test­kundgebungen und bei Wahlen.

Vor diesem Hintergrund sind viele Teilnehmer von Pegida-Demonstra­tionen– die wegen einer gewissen Unzufriedenheit hingehen, wegen einer Beunruhigung, weil ihnen Dinge unter den Nägeln brennen, weil sie sich um ihr Land sorgen – nur bedingt „unschuldig“: im Sinne von „wohlmeinend“, aber auch „naiv“. Denn viele Akteure in Dresden und erst recht in anderen „Gidas“ sind keineswegs „unschuldig“, sondern stehen in Kontakt oder sind selbst Mitglied der rechten/rechtsextre­men Szene. Und genauso wenig „unschuldig“ sind viele der Themen und der damit verbundenen Theorien, die die Pegida-Bewegung trans­portiert. Ein „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen!“, das man angesichts eines solchen Vorwurfs schnell hört, ist Problemanzeige: Ge­rade die vordergründige „Verbürgerlichung“ verschleiert einen erbitter­ten Kulturkampf, eine Gefahr für unsere Gesellschaft, unsere Demokra­tie und unsere Verfassung – und letztlich für Leib und Leben.

Die oben skizzierte „rechte Alternativität“ zielt nämlich in letzter Kon­sequenz nicht auf eine Reform, sondern auf eine Ersetzung von freiheit­licher und pluralistischer Gesellschaft und Demokratie. Deshalb steht sie zu Recht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und wird im Kontext einer wehrhaften Demokratie auch bekämpft. Die „Softversio­nen“ – etwa die „Neue Rechte“ und „Pegida“ – sind wohl nicht weniger gefährlich, da sie eine größere Breitenwirkung entfalten und durch die Hintertür rechtsextremes Gedankengut transportieren. Sie lassen sich aber durchaus auch als fundamentale Anfragen an das derzeitige Deutschland lesen. (Damit ist noch nichts dazu gesagt, ob man über diese Fragen eine Diskussion mit rechten Kreisen versuchen soll oder ob man dies lieber vermeidet, um diesen kein öffentliches Podium zu bie­ten.) Solche Grundfragen betreffen u. a. folgende Bereiche:

  • Demokratie: Demokratische Prozesse und Entscheidungen sind häu­­­fig langwierig, mühsam und von Kompromissen geprägt – und kön­nen es nicht jedem recht machen. Das lässt manche Menschen nach „Abkürzungen“ (z. B. Volksentscheide) und nach Alternativstruktu­ren (die „Straße“ oder gar die Abschaffung von Demokratie) suchen. Eine wachsende Zahl von Nichtwählern wirft die Frage auf, wie viel bürgerlichen Einsatz unsere Demokratie braucht, und umgekehrt, wie viel politische Abstinenz sie noch verträgt.

  • Pluralismus: Bekennt man sich zu einer offenen, pluralen Gesell­schaft? Oder meint man, etwa aus „Selbstschutz“ die kulturelle Vielfalt zugunsten einer stärkeren Homogenität einschränken zu müssen? Dies tangiert jedoch den Gleichheitsgrundsatz und andere fundamentale Menschenrechte.

  • Integration: Erwartet man Integration – etwa gar im Sinne völliger Assimilierung – nur von den „anderen“? Oder ist Inte­gration ange­sichts einer sich ständig wandelnden gesellschaftlichen Realität nicht eine Daueraufgabe für jeden, eine durchaus auch bereichernde Her­ausforderung?

  • Solidarität: Wie viel Solidarität wagt man? Gilt diese Solidarität vor­nehmlich den „eigenen Leuten“, oder nimmt man gerade auch die Benachteiligten, die Randgruppen, die Fremden in den Blick? Wie weit haben „nationale Interessen“ Vorrang – und was sind überhaupt diese „nationalen Interessen“ in einer zunehmend global vernetzten Welt?

  • Informations- und Diskussionskultur: Wer hat die Meinungshoheit? Wie weit gilt Meinungsfreiheit? Inwieweit werden „abweichende“, „unliebsame“ Meinungen toleriert? Und wie geht man mit anderen Meinungen und mit Andersdenkenden um: sachlich, fair und diffe­ren­ziert argumentierend oder polemisierend und mit Mitteln der Stimmungsmache? Schließlich: Ist man bereit, sich von seriöser, wissenschaftlicher Empirie leiten zu lassen, oder stützt man sich blickverengt und ohne ausreichende Qualitätsprüfung auf „Informa­tionen“, die zur eigenen Meinung passen, und blendet andere aus?

  • Religionsfreiheit: Ein Lackmustest für die eigene Haltung zu Plurali­tät, Freiheit und Menschenrechten ist der Umgang mit Religionsfrei­heit, da gerade Religion oft mit Emotionen und ganz persönlichen Überzeugungen verbunden ist. Bei Muslimen in Deutschland kommt zudem als weiteres Element stark die Konfrontation mit einer frem­den Kultur hinzu – und islamistischer Fundamentalismus und Terro­rismus machen erst recht einen offenen und zugleich kritischen Um­gang mit dem Islam zu einer Gratwanderung.

Insgesamt stellt sich also die Frage, ob das derzeitige deutsche „System“ – freiheitliche Demokratie, Pluralismus, Meinungsfreiheit, Menschen­rech­te, soziale Marktwirtschaft, europäische Einbindung via EU etc. – auch angesichts großer Herausforderungen weiterhin trägt. Die „rechte Alternative“ scheint diese Ordnung, die die Menschen in einem großen Maß an Freiheit, Sicherheit, Frieden und Wohlstand leben lässt, insbe­son­dere am „Ansetz­punkt“ Pluralismus über den „Hebel“ Selbst­schutz/Be­wahrung des Eigenen anzugehen. Menschen, die sich von dieser rechten Problematisierung ansprechen lassen und beispielsweise in bester Absicht und fernab von Sympathien für Rechtsextremismus bei Pegida mitlaufen, übersehen freilich, dass sie über diesen „Ansetz­punkt“ auch die anderen System-Bausteine, also das ganze demokrati­sche Gefüge ins Wanken bringen können.

Entlarvend für diese wohlmeinende, aber gefährliche Naivität ist die Sympathie mancher für Putin-Russland, das sich derzeit als das große Gegenmodell zur (west-)europäischen Friedensordnung geriert. Andreas Püttmann schilderte jüngst in einem Aufsatz (vgl. Püttmann 2015), welche Faszination das Putin-Reich auf konservative und funda­mentalistische Christen auszuüben vermag, weil diese auf bestimmte konservativ-reaktionäre Aspekte russischer Politik (z. B. Förderung gro­ßer Familien, schwulenfeindliche Politik, Hochhalten traditioneller Werte) fixiert sind und anderes ausblenden: die Zerstörung von Demo­kratie und Freiheit in Russland sowie die Durchsetzung machtpoliti­scher Interessen mit Gewalt.

Hier wird das Gefährliche dieser „naiven“, „unschuldigen“, wohlmei­nen­den „Vorbehalte“ gegenüber der derzeitigen gesellschaftlichen Rea­lität in Deutschland deutlich: In ihnen liegt eine schleichende Bedro­hung – zuerst für Minderheiten, dann aber auch für die breite Masse der Bevölkerung. Dennoch: Es soll hier kein Alarmismus betrieben werden. Die deutsche Zivilgesellschaft ist widerstandsfähig, und man kann sie sogar als durch die Auseinandersetzung mit Pegida gestärkt betrachten (so Olaf Sundermeyer bei einem Vortrag).

Aber Wachsamkeit ist geboten – und Engagement. Das gilt auch für die Kirche, ist sie doch nicht nur kritischer Beobachter, sondern schon längst in Pegida & Co. „verwickelt“ und an manchen Stellen unmittelbar herausgefordert.

Und die Kirche?

Was ist also Aufgabe von Kirche – im Sinne einer missionarischen Pasto­ral, die sich von einer frohen Botschaft in Auftrag nehmen lässt, die dem Leben dient, gerade auch dem der Schwachen, Ausgegrenzten und Fremden?

Zuerst einmal geht es darum, die eigene Position zu klären. Zwar haben sich die christlichen Kirchen in Sachsen von Pegida distanziert – was wichtig und notwendig war. Doch treffen solche Distanzierungen nur die Spitze des Eisberges bzw. ein Symptom eines ganzen rechten Netz­werkes. Und auch wenn es eigentlich klar zu sein scheint, dass Christen in Deutschland auf der Seite von Demokratie, Freiheit, Religionsfrei­heit, Solidarität mit Flüchtlingen etc. stehen: Dass nicht wenige Chris­ten bei Pegida mitlaufen und Nähe zu neurechten Kreisen pflegen, dass einschlägig bekannte Christen und Organisationen von Christen Unter­stützung und Förderung von manchen kirchlichen Amtsträgern erhal­ten, zeigt, dass man von einem Konsens in der Bewertung und im Um­gang mit latent rechtsradikalem Gedankengut und diesem nahe­stehenden Bewegungen weit entfernt ist.

Die nicht nur medialen Diskussionen, als Papst Benedikt XVI. die Ex­kommunikation der Bischöfe der islamophoben und letztlich demokra­tie­feindlichen Piusbruderschaft aufhob, kann man als Warnschuss be­trachten. Es ist vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis auch der Kirche in Deutschland entsprechende Versäumnisse und Unachtsam­keiten auf die Füße fallen. Die Evangelische Allianz in Deutschland – Dachverband evangelikaler und damit häufig sehr konservativ einge­stell­ter Christen – hat bereits regelmäßig mit Vorwürfen zu großer Nähe zu rechten Kreisen zu kämpfen. So ist es zu begrüßen, wenn Kirchenlei­tungen im gebotenen Fall Äußerungen von kirchlichen Mitarbeitern ent­schieden zurückweisen – so etwa der Münsteraner Bischof bei einem Geistlichen, der im Januar in Duisburg bei einer Pegida-Kundgebung gesprochen hat (vgl. Bischof Genn 2015).

 

Doch nicht (nur) der mögliche Imageschaden sollte zu einer strategi­schen Klärung bewegen. Vielmehr ist christlicher Glaube in wesentli­­chen Punkten herausgefordert:

  • Ist es mit christlicher Nächstenliebe vereinbar, Menschen mit ande­rer Lebensweise zu diskriminieren und die Solidarität auf die „eige­nen Leute“ zu beschränken?

  • Widerspricht es nicht dem Gebot der Wahrhaftigkeit, wenn nicht rationaler Diskurs, sondern polemische Stimmungsmache das Han­deln bestimmt?

  • Ist ein (tendenziell) dualistisches Weltbild, das Säkularisierung und Pluralisierung einseitig als Kulturverfall zeichnet, gerade nach dem Zweiten Vatikanum für Katholiken noch vertretbar?

  • Ist das Bekenntnis zur Glaubens- und Religionsfreiheit, wie es etwa das Konzil in Dignitatis humanae formuliert hat, in seiner vollen Konsequenz schon in den Herzen der breiten Masse der Gläubigen angekommen? (Denn zu solcher Religionsfreiheit gehört etwa auch das Recht auf öffentliche Religionsausübung!)

Das sind nicht Stil-, sondern Kernfragen für einen verantworteten Glauben!

 

Was kann also Kirche tun – außer einer konsequenten, glaubwürdigen Distanzierung von rechten Denk- und Argumentationsstrukturen und deren Vertretern, auch in den eigenen Reihen? Und wie vermeidet man dabei unnötige Ausgrenzungen, geht vielmehr in angemessener Weise auf Sorgen und Bedenken gerade konservativer Christen ein?

Zu suchen wäre nach einer positiven, konstruktiven Konservativität, die sich nicht durch Verweigerung gegenüber der Modernisierung und eine Verteufelung des „Zeitgeistes“, sondern durch ein Bewahren (conser­va­re) – genauer: ein gemäß den „Zeichen der Zeit“ anpassendes Bewahren – christlicher Traditionen auszeichnet. Letztlich ist angesichts globaler grundsätzlicher Herausforderungen und Missstände eine „christliche Alternativität“ gefragt. Eine solche Alternativität kann sich aber nur christlich nennen, wenn sie nicht bei Forderungen und Thesen stehen bleibt, sondern sich in gesellschaftlichem Einsatz und engagiertem Tun verwirklicht.

Dabei können die Kirchen an ihre Bildungsarbeit (Kitas, Schulen, Ju­gend- und Erwachsenenbildung) anknüpfen. Gerade auch die Pegida-Proteste weisen auf erhebliche Wissenslücken bezüglich anderer Reli­gio­nen, anderer Lebenswelten (z. B. von Flüchtlingen und Schwulen), politischer und globaler Zusammenhänge und nicht zuletzt auch (neu-) rechter Strukturen hin. Weiterhin fehlt es an Wissen über Elemente eines positiven christlichen Gegenmodells zu „rechter Alternativität“; der Schatz des christlichen Glaubens muss dafür immer wieder neu erschlossen werden.

Doch solches Wissen allein reicht nicht. Wichtig ist die Fähigkeit, In­formationen und Aussagen richtig einschätzen zu können. Denn rechte Stimmungsmache basiert wesentlich auf der Zeichnung von Bedro­hungs­szenarien, häufig mit unredlichen Mitteln: Fakten werden ver­dreht, durch die Aneinanderreihung von einzelnen Beispielen werden nicht gegebene Regelmäßigkeiten suggeriert, Gegenbeispiele werden unterschlagen, man greift nur auf einem genehme Quellen zurück und ignoriert abweichende Meinungen (wenn man sie nicht lächerlich macht), Klischees und Vorurteile werden gezielt angesprochen, Spekul­a­tionen und gesicherte Informationen werden miteinander vermengt, Gegner werden durch Wortneuschöpfungen dämonisiert, schier über­­mächtige feindliche Seilschaften werden konstruiert – und all das ist durchsetzt mit einer großen Portion Verschwörungstheorien. Man merkt: „Klassisches“ Lügen ist nur eine Option neben anderen! Natür­lich ist es für einen Nicht-Fachmann kaum möglich festzustellen, ob in einer Darstellung wichtige Fakten verschwiegen werden und dadurch ein falsches Bild entsteht – aber eine Sensibilisierung für manche Merk­male von unseriöser Meinungsmache ist in einer liberalen Gesellschaft eine zentrale Bildungsaufgabe: auch für kirchliche Einrichtungen.

Schließlich hat Pegida zumindest eines bewirkt: ein neues Gespür für die Notwendigkeit einer Diskussionskultur, in der auch kontroverse Meinungen zusammenprallen dürfen, in der Menschen mit ihren An­liegen ernst genommen werden, die aber andererseits nicht von Extre­misten missbraucht wird. Darum muss sich auch Kirche immer wieder bemühen: um ein gemeinsames, faires, kultiviertes Ringen um gute Wege für unsere Gesellschaft – Wege, in denen sich das Evangelium inkulturiert.

 

Stand: 30.3.2015