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Zur Frage der Leitung. Freikirchliche Anmerkungen

Ein freikirchlicher Blick auf Charisma und Amt, wie sie in der katholischen Kirche wahrgenommen werden, mag zunächst fremdartig erscheinen. Si­cher ist aus katholischer Perspektive so manche kritische oder korrigierende Rückmeldung notwendig. Wir dokumentieren hier dennoch den Beitrag von Bruce Clewett, der eine charismatisch orientierte Richtung vertritt, die mit Kerygma als neuer geistlicher Gemeinschaft u.a. in der Erzdiözese Wien verortet ist.

Da einige Bemerkungen zu mir persönlich zum Verständnis der folgen­den Anmerkungen hilfreich sein können, seien diese vorangestellt: Ich wurde in der United Presbyterian Church, einem Zweig der in Schottland gegründeten Reformierten Kirche, getauft und bin dort aufgewachsen. In den letzten 44 Jahren habe ich für das interkonfessionelle Missionswerk Youth With A Mission (YWAM – Jugend mit einer Mission), das mit 18.000 Mitarbeitern in über 100 Ländern aktiv ist, gearbeitet. Die von mir ge­­leitete YWAM-Abteilung trägt den Namen Kerygma. Diese Arbeit im YWAM, in dem mehrheitlich Protestanten und Freikirchler aktiv sind, hat etwas Ungewöhnliches an sich: Kerygma legt seinen Fokus auf die katholische Welt. Daraus resultiert, dass die meisten Kerygma-Mitarbei­ter katholisch sind und die meisten Anstrengungen dahin gehen, katho­lische Pfarreien, Erneuerungsbewegungen, Gemeinschaften und Ju­gend­gruppen durch ein Training  zu unterstützen und junge Katholiken für einen aktiven Dienst für den Herrn zu mobilisieren – und dies spezi­ell im Feld der Neuen Evangelisierung.

Meine freikirchliche Herkunft und Umgebung und meine (überwiegen­de) Arbeit in der katholischen Welt gestatten mir nun eine interessante Perspektive auf die Unterschiede zwischen einem „freikirchlichen“ und einem „katholischen Ansatz“ zu verschiedenen Fragen, wie z. B. der nach der Leitung durch Laien. Hier sind zahlreiche Stärken des katholi­schen Ansatzes gegenüber dem freikirchlichen Ansatz auszumachen, z. B. ein klares Verständnis der Verantwortlichkeit gegenüber anderen Leitungspersonen, eine stärkere Betonung der Demut im Leben der Leiter, ein ganzheitlicherer Ansatz im Blick auf das Leben insgesamt und auch der Rhythmus des dreijährigen Lesejahres, der die Priester davor bewahrt, ihr besonderes biblisches „Steckenpferd“ zu pflegen. Ich persönlich habe sehr von den Erfahrungen meiner Einbindung in die Katholische Kirche profitiert. Wie dem auch sei – für diesen Artikel bin ich gebeten worden, die hinter meiner Arbeit stehende Philosophie und konkrete Methoden zu beschreiben, die in einigen Freikirchen ange­wandt werden und die sich als hilfreich in unserem Leitungstraining für Katholiken erwiesen haben.

Zu erwähnen ist noch, dass ich in der Erzdiözese Wien ansässig bin, die von einer meiner Meinung nach beispielhaften christlichen Leitungs­person geführt wird: Christoph Kard. Schönborn. Er war für mich per­sönlich eine wahre Unterstützung und eine Quelle der Inspiration. Ein Großteil der Methodologie, die in diesem Artikel erwähnt wird, wurde in unserer Diözese, aber auch in anderen Teilen Europas angewandt, wenn auch auf „inoffizieller“ Basis.

Leitungsparadigmen

Über die Jahre habe ich eine merkliche Differenz zwischen der freikirch­lichen und katholischen Perspektive zum Thema „geistliche Leitung“ festgestellt. Dies hat natürlich die Methoden stark beeinflusst, die ver­wendet werden, um Leitungscharismen unter Laien zu entwickeln. Zur Erklärung:

Die Bewegung der Freikirchen begann ohne die „Genehmigung“ einer „offiziellen“ Kirche (Freikirchler nutzen die Bezeichnung „Kirche" nor­malerweise, um die „Großkirchen“ zu bezeichnen). Eine Konsequenz dieser Genese war die Entwicklung eines eigenen „Ehrenamtskonzepts“ (concept of „volunteerism“). So ist es normal, dass ein/e freikirchliche/r Christ/in dann, wenn sie/er eine Notwendigkeit oder Möglichkeit zu einem Dienst erkannte, es oftmals selbst übernahm, dieser  speziellen Notwendigkeit zu begegnen, auch wenn sie/er von niemandem „offi­ziell“ dazu „beauftragt“ und dieser Dienst nicht „genehmigt“ wurde. Bisweilen bedeutete dies eine neue Organisation zu gründen, zu predi­gen oder sogar eine neue Gemeinde aufzubauen. Einige dieser neuen Kirchen „weihten“ ihre Leiter später natürlich. Aber der Prozess dorthin war viel einfacher und weniger formal als in den älteren Kirchen. So war und ist Ehrenamtsarbeit – inklusive einer ehrenamtlichen Leitungsauf­gabe – in den Freikirchen ein hohes Ideal. Viele dieser frühen Ehrenamt­­lichen, wie z. B. Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (und die frühen Herrnhuter Missionare), Jonathan Edwards, General William Booth (Grün­der der Heilsarmee) etc., werden heute von Freikirchlern als „Hel­den des Glaubens“ angesehen. Es überrascht nicht, dass es im Lauf der Jahrhunderte für „nicht geweihte“ Personen „normal“ wurde, geistliche Verantwortung zu übernehmen: Die meisten Mitglieder der Freikirchen kämpfen nicht mit Schuldgefühlen, wenn sie eine Leitungsaufgabe über­nehmen ohne „offiziell“ dazu beauftragt worden zu sein.

Andererseits erscheint es mir auch nach Apostolicam actuositatem, dem Dekret über das Apostolat der Laien des II. Vatikanischen Konzils, dass Leitung in der Katholischen Kirche von vielen Katholiken als etwas wahr­genommen wird, das dem Einzelnen durch die Kirche offiziell verliehen wird. In dieser Wahrnehmung ist der Priester die einzige bona fide Leitungsfigur in einer Pfarrei. Somit ist ein Leiter, der nicht zumin­dest ein Minimum an theologischer Ausbildung und irgendeine Form der Beauftragung durch die Kirche vorweisen kann, keine „richtige“ Leitungsfigur. Natürlich ist dies eine starke Generalisierung, aber ich vermute doch, dass Überbleibsel dieses Denkens auch heute noch  die Überlegungen mancher Katholiken beeinflussen. Selbst in der Charisma­tischen Erneuerung, zu der ich selbst gehöre, bevorzugen viele Gebets­gruppen – wenn sie denn die Wahl haben – die Leitung durch einen Priester statt durch einen Laien. Es ist sehr verbreitet, dass Laien, die eine wie auch immer geartete geistliche Verantwortung in der Kirche über­nehmen, unter dem Stigma der „Illegitimität“ leiden. Dies er­scheint mir als ein Haupthindernis, in der Katholischen Kirche eine Leitung durch Laien aufzubauen und zu etablieren.

Ein damit verbundenes Problem hat mit der Rolle des Laien-Leiters zu tun. In Freikirchen umfasst geistliche Leitung normalerweise die Verant­wortung für eine Gruppe und auch die Autorität und Kompetenz, wich­tige Entscheidungen treffen zu können. Wenn nun aber der Pfarrer die einzige „authentische“ Leitungsfigur in den Augen eines katholischen Pfarreimitglieds ist, dann würde die Aufgabe der Laien als Leiter v. a. darin bestehen, die Wünsche des „richtigen“ Leiters wahrzunehmen und das Möglichste zu tun, um diese umzusetzen. Dabei wären die wirklich wichtigen Entscheidungen immer anderen überlassen. Für Experten aus der Wirtschaft, die sich in der Leitungsfrage auskennen, ist klar, dass Verantwortung ohne Entscheidungskompetenz zur Frustration führt.

Was kann also getan werden, um dieses Problem zu erleichtern? Natür­lich gibt es keine einfache Lösung. Wir jedenfalls haben es im Laufe der Jahre als sehr hilfreich empfunden, große Treffen gleichgesinnter katho­lischer (vorwiegend Laien-)Führungspersonen zu schaffen. Unsere Ziel­gruppe ist nicht primär die der Personen, die Gebetsgruppen anleiten, als vielmehr die der jungen Führungspersonen, die Gemeinschaften, Bewegungen und Jugendgruppen leiten, mit anderen Worten also dieje­nigen, die konkrete Leitungsverantwortung für andere Menschen haben und nicht nur für den Ablauf wöchentlicher Events verantwortlich sind. Veranstaltungen mit 300-400 Teilnehmern mit ähnlichen Positionen und ähnlichen Erfahrungen helfen dabei, ein Gefühl der Legitimität zu etablieren. Bei diesen Versammlungen versuchen wir eine Umgebung zu schaffen, in der die jungen Leitungspersonen offen über ihre Schwie­rigkeiten und Auseinander­setzungen reden können – über Auseinan­der­setzungen bezüglich ihrer Verantwortung, über Auseinanderset­zungen mit ihren Familien und auch über Auseinander­setzungen in der Kirche. Dies hilft den Teilnehmern zu erkennen, dass sie mit ihren Er­fahrungen nicht alleine sind, dass es viele andere wie sie gibt. Dies hilft ihnen zu erkennen, dass sie letztlich vielleicht doch „wahre“ Leiter sind. Einige der ihnen begegnenden Schwierigkeiten sind eventuell recht nor­mal Dinge, die alle „echten“ Leitungspersonen durchmachen müssen.

Bei der Mehrzahl dieser Versammlungen spricht der jeweilige Ortsbi­­schof ein Grußwort und feiert zusammen mit den Teilnehmern die Messe. Nichtsdestoweniger kommen die meisten Impulse aber nicht vom Klerus, sondern von anderen Laien in Leitungspositionen, die wertvolle Lektionen, die sie in ihrem jeweiligen Feld mit dem Thema Leitung gesammelt haben, teilen. Dabei werden theologische Themen zwar behandelt, sie sind aber nicht die Hauptstoßrichtung dieser Vor­träge. Die Impulse sind vor allem als Inspiration gedacht und sehr prak­tisch angelegt. Diese Konferenzen sind fast ausschließlich für Katholi­ken konzipiert und werden von Teams vorbereitet, die natürlich auch katholische Theologen umfassen, u. a. den Verantwortlichen für die Ausbildung der ständigen Diakone der Erzdiözese Wien. Abschließend ist zu bemerken, dass viele dieser Leitungspersonen auch nach dem Ende der Veranstaltung miteinander in Kontakt bleiben und bisweilen sogar später zusammenarbeiten.

Jeder Christ ist berufen zu einem geistlichen Dienst

Mitglieder der Freikirchen werden generell dazu ermutigt, sich auf ir­gendeine Art und Weise zu beteiligen, einen Dienst zu übernehmen – dies schließt die Leitung ein. Gewöhnlich wird dies mit dem biblischen Bild des Leibes Christi, dessen Teil wir sind, begründet. Daher sollten wir, ob wir nun „Hand“ oder „Fuß“ dieses Leibes sind, aktiv zur Gesun­dung und zum Wachsen des Leibes beitragen. Wir ALLE sollten auf ir­gendeine Weise aktiv beteiligt sein, aktiv dienen. Aus der Perspektive der meisten Freikirchen ist es so nicht nur ein nobler Akt, als Christ eine zunehmende geistliche Verantwortung zu übernehmen; es ist eine „hei­li­ge Pflicht“.

Katholiken tendieren meiner Erfahrung nach in dieser Frage dazu, ein wenig zögerlicher zu sein. Vielleicht ist der Wunsch, vermeiden zu wol­len, in die Falle des „Stolzes“ zu tappen, ein Grund dafür. Denn es ist natürlich möglich, dass manche es aus selbstsüchtigen oder hochmüti­gen Gründen nicht erwarten können zu leiten. Nichts desto weniger er­mahnt Paulus die Kirche von Korinth: „Strebt nach den Geistesgaben!“ (1 Kor 14,1) – und ich bin überzeugt: das beinhaltet die Gabe der Lei­tung. Im Buch Exodus ist zu lesen, dass Moses streng vom Herrn geta­delt wurde, weil er versuchte, sich vor der Verantwortung der Leiter­schaft zu drücken (Ex 4,14).

Es wäre an dieser Stelle hilfreich, den wahren Nutzen der geistlichen Ga­ben (inkl. der Gabe der Leitung)  zu untersuchen. Wenn ich für je­man­den um Heilung bete und er / sie wird geheilt, sagen manche viel­leicht, ich hätte die „Gabe des Heilens“. De facto hat aber derjenige, der geheilt wurde, die größere Gabe erhalten. Wenn jemand, der die Gabe der „prophetischen Rede“ besitzt, zu jemandem ein prophetisches Wort sagt – wer bekommt das wahre Geschenk? Die Antwort scheint offen­kun­dig: Der Empfänger des göttlichen Wortes. Weiter oben zitierte ich eine Stelle aus der Schrift, in der Mose von Gott das übernatürliche Ge­schenk der Leiterschaft gewährt wurde. Dies hat Gott getan, um Israel zu retten. Er gab Moses diese Gabe nicht allein ihm zuliebe. Wenn Cha­rismen vorrangig als ein „Kanal“ angesehen werden, durch den Gott an­deren seinen Segen vermitteln will, dann wird dies helfen zu begreifen, wie falsch es wäre, die Charismen nicht zu ersehnen, selbst wenn dies (zunächst) aus eigennütziger Motivation geschehen sollte. Diese Über­legungen könnten helfen, Menschen zu motivieren, ihre gottgegebenen Charismen weiter zu erkunden und einzuüben.

Wenn mir nun ein junger Mensch sagt: „Ich will eine Leitungsperson sein“, so ist meine Antwort gewöhnlich: „Großartig! Das ist wirklich fabelhaft. Jetzt lass mich dir helfen, einige der notwendigen Lektionen zu lernen, um eine Leitungsperson zu werden.“ Dies funktioniert, ohne dass erwähnt werden muss, dass diese Lektionen Aspekte wie Demut, Selbstdisziplin, soziale Kompetenz, Liebe zu Gott etc. einschließen.

Training und Ausbildung

Im Laufe der Jahre haben Freikirchen ein großes Arsenal an theoreti­schen und praktischen Trainingskomponenten für angehende Leitungs­personen entwickelt: Bibelschulen, bei denen es sich freikirchlich nicht nur um Einführungen (und Vertiefungen) in die Schrift handelt, son­dern sie den zentralen Ausbildungsort zukünftiger Pastoren darstellen, Schulen für ein Jüngerschafts-Training und sogenannte „Ministry-Training-Schools“, die bestimmte Dienstfelder abdecken, wie z. B. Got­tes­dienstleitung, Evangelisierung etc. Freikirchlern, die sich engagieren möchten, stehen vielfältigste Möglichkeiten zur Verfügung. Da das Kon­zept von Laien in Leitungspositionen in der Katholischen Kirche relativ neu ist, gibt es verständlicherweise weniger Optionen für Laien, die eine Weiterbildung zum Thema Leitung absolvieren möchten. Ein deutliches Beispiel ist das Fehlen einer Ausbildung für Leiter in den geistlichen Ge­meinschaften und Bewegungen. Ich arbeite mit vielen Männern und Frauen, die helfen, die neuen Gemeinschaften zu betreuen. Manche die­ser Gemeinschaften bestehen aus 400 Erwachsenen. Wie viele Kurse gibt es nun, in denen praktisch gelernt werden kann, was Leitung be­deu­tet? Ich kenne nur sehr wenige. Natürlich gibt es einige Angebote für katholische Laien in Leitungspositionen, wie z. B. die verbreiteten Ju­gend­leiterschulungen. Diese beziehen sich aber v. a. auf theologische Fragen, so etwa bei vielen Bibelgrundkursen. Aber mir erscheint es, dass es relativ wenige katholische Programme und Einrichtungen gibt, in de­nen Laien eine praktische Ausbildung zum Leiten absolvieren können.  Daher verwundert es mich nicht, dass ich so vielen katholischen Laien in Leitungspositionen begegne, die sich im Blick auf ihre Leitungsver­antwortung überfordert und schlecht ausgerüstet fühlen.

Die naheliegende Lösung ist es, mehr Ausbildungsmöglichkeiten für katholische Laien in Leitungspositionen zu schaffen. Ich habe auch einige junge katholische Leitungspersonen ermutigt, an bestimmten Ausbildungsprogrammen der Freikirchen, die wir vorher überprüft hatten, teilzunehmen. Damit sollte auch versucht werden, Methoden und Inhalte zu identifizieren, die in den katholischen Kontext übersetzt werden könnten.

Ausbildungsprogramme sind jedoch nicht die einzige Möglichkeit, die Freikirchen als Qualifikation für Leiter anbieten. Auch ein Training „on-the-job“, Ausbildung beim Arbeiten selbst, hat sich als ein effekti­ves Mittel herausgestellt, um neue Leitungspersonen hervorzubringen. Viele Freikirchen beziehen sich bei diesem Ansatz auf ein Modell, das u. a. in Lukas 10,1–24 beschrieben wird. Hier wird davon berichtet, wie Jesus 72 Jünger für eine kurze Zeit aussendet und ihnen klare Anwei­sun­­gen gibt, was zu tun ist. Als sie zurückkehren, berichten sie Jesus von ihren Erfahrungen. Daraufhin gibt er ihnen ein Feedback und spen­det Ermutigung (bevor er sie eventuell wieder aussendet).

Kurzzeitige Aufgaben wie diese haben sich nun als idealer Ansatz her­ausgestellt, in denen junge Leitungspersonen mit zunächst kleineren Verpflichtungen ausprobieren können, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen. Es ist für potentielle Leiter insgesamt leichter sich zu en­gagieren, wenn die Zeit des Engagements überschaubar und die erwar­te­ten Ergebnisse klar sind. Damit dies funktionieren kann, muss Fol­gendes beachtet werden. Es braucht:

  1. eine klare „Tätigkeitsbeschreibung“ sowie Klarheit bezüglich des­sen, wie ein erfolgreiches Ergebnis aussehen sollte. Für außer­kirch­liche Experten auf dem Feld der Leitung ist deutlich, dass unklare Erwartungen einen „Motivations-Killer“ darstellen.
  2. eine Beziehung zwischen dem ausbildenden und dem auszubil­denden Leiter (Trainee), die von einem ständigen Austausch geprägt sein sollte (Bericht und Feedback). Der ausbildende Leiter sollte sich über den Fortschritt des Trainees während des Projekts auf dem Laufenden halten, ohne ihm das Gefühl zu vermitteln, er würde ihm „ständig über die Schulter blicken“.
  3. einen Raum für Fehler, den der ausbildende Leiter dem Trainee einräumen muss. Auch in der lukanischen Darstellung waren manche Prioritäten der 72 Jünger nach Jesu Maßstab nicht kor­rekt und so erfuhren sie eine sanfte Korrektur, nachdem sie von ihrem ersten „Außeneinsatz“ zurückkehrten (vgl. Lk 10,20).

Ich wiederhole: Die Trainees brauchen Ermutigung und Anleitungen während des Projekts. Der ausbildende Leiter sollte nicht warten, bis das Projekt beendet ist, bevor er ihnen kommuniziert, ob noch weitere Hilfe notwendig ist. Ein nichtkirchlicher Experte für Leitung hat es so ausgedrückt: „Wir müssen die Leute dabei ertappen, wenn sie gerade etwas richtig machen.“

Leitungsteams

In etlichen Freikirchen finden sich Leitungsteams. Für viele ist ein Lei­tungsteam dabei nicht primär eine Gruppe von Menschen, die den obersten Leiter unterstützt, sondern es ist das, was der Name be­schreibt: ein Team von Leitern, von Führungspersonen. Natürlich gibt es normalerweise einen Sprecher des Teams. Wenn das Leitungsteam für die Betreuung und Aufsicht einer Gemeinde  verantwortlich ist, ist der Sprecher gewöhnlich der leitende Pastor der Gemeinde. Aber auch die anderen Teammitglieder nutzen ihre besonderen Leitungsbegabungen, um die Gemeinde zu leiten. Je größer die Gemeinde, desto größer ist die Notwendigkeit einer großen Bandbreite von Leitungsbegabungen. Man­che Leitungspersonen haben seelsorgliche Fähigkeiten und sind gut dar­in zu bestimmen, in welchem geistlichen Zustand sich die Gemeinde ak­tuell befindet. Andere haben Fähigkeiten fürs Management und in der Planung. Andere sind visionär und daher fähig, eine Gruppe in unbe­kann­ten Gewässern zu leiten. Manche sind geschickt im Bereich der Kommunikation und Motivation. Andere Leitungspersonen wiederum sind sehr detailversessen und sichern so eine gesunde finanzielle Basis. Diese Begabungen werden selten – falls überhaupt – in einer einzigen Person zu finden sein.

Nun ist das Wesen einer katholischen Pfarrei sehr von der einer Freikir­che unterschieden und daher wird auch das Leitungsteam einer katho­lischen Pfarrei anders aussehen als das ihrer freikirchlichen Brüder. Nichtsdestoweniger kann das beschriebene Paradigma der Leitungs­teams sehr hilfreich sein.

Vervielfältigung der Leitungspersonen

Ein letztes Feld, das zu erwähnen ist, ist ein Ideal, welches sich in vielen Freikirchen findet: Das Vervielfachen der Leitung. Erneut steht die Dar­stel­lung von Jesus und seinen Jüngern in den Evangelien für diesen An­satz Pate: Der irdische Dienst Jesu dauerte etwa drei Jahre. Ein Grund dafür war sein Plan, die Welt nicht allein, sondern auch durch andere zu erreichen. So nutzte er sein Leben und seinen Dienst auch als Beispiel für eine Handvoll zukünftiger Leitungspersonen, er bildete sie aus und sandte sie dann aus, damit sie ein Beispiel für andere seien, die sie aus­bil­deten und wiederum aussandten usw. usf. Der Apostel Paulus wie­der­holte dieses Prinzip:

Ihr wisst selbst, wie wir bei euch aufgetreten sind, um euch zu gewinnen. Und ihr seid unserem Beispiel gefolgt und dem des Herrn; ihr habt das Wort trotz großer Bedrängnis mit der Freude aufgenommen, die der Heilige Geist gibt. So wurdet ihr ein Vor­bild für alle Gläubigen in Mazedonien und in Achaia. Von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen, sondern überall ist euer Glaube an Gott be­kannt geworden. (1 Thess 1,5b–8a)

Daher sollten auch junge und unerfahrene Leitungspersonen ermutigt werden, von Beginn ihres Dienstes an ein Auge für neue, zukünftige Lei­­ter offenzuhalten. Manchmal bringt ein solch hastiger Zugang zwar eine ungenügende Prüfung der leitenden Personen mit sich, aber aufs Ganze gesehen, erweist sich dieser Weg als probat und effektiv.

Aus freikirchlicher Perspektive erscheint es mir, dass katholische Pries­ter diese Methoden nur bedingt anwenden können, da sie nicht diejeni­gen sind, die ihre Nachfolger auswählen, sie könnten aber in bestimm­ten Feldern Verantwortungen anders gestalten. Aus freikirchlicher Sicht stellt es sich außerdem so dar, dass die mögliche Vorbildwirkung eines Priesters in Bezug auf Leitung dadurch eingeschränkt ist, dass er den Laien – außer denen mit einer Berufung zum Priesteramt - nicht sagen kann: „Auch du kannst eine solche Leitungsperson sein, wie ich es bin.“ Durch die Priesterweihe gibt es einen Unterschied zu den Laien. Das II. Vatikanische Konzil sagt in Lumen Gentium 10: „Das gemeinsame Pries­tertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich […] dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach.“ Daraus ergibt sich in der katholischen Theologie eine Unterscheidung zwischen Laien und Priestern, die so in Freikirchen nicht zu finden ist. Damit soll keine Bewertung verbunden sein, ich möchte nur eine für mich wichtige Differenz deutlich machen. Auch wird die vom Konzil betonte gemeinsame Berufung aller zur Heilig­keit mancherorts durch ein vorkonziliares Amtsverständnis konterka­riert. Daher ist es meiner Meinung nach für katholische Laien von ent­scheidender Bedeutung, sich selbst als „Vervielfältiger“ der Leitung zu betrachten.

Dieser Artikel wurde unter dem Titel „Leadership development from a free-church perspective“ verfasst und für euangel ins Deutsche übertra­gen (Übersetzung M.-L. Hermann).