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Führen und Verändern in kirchlichen Organisationen. Warum kirchliche Einrichtungen ihren Change-Prozess professionalisieren müssen

Aus der Sicht einer kirchlichen Unternehmensberatung blickt Wilfried Günther auf die Herausforderungen, die sich seiner Meinung nach insbe­son­dere für Führungskräfte in der Kirche stellen, und formuliert so 10 Thesen zur Optimierung des Veränderungsprozesses, in dem die Kirche steht.

1. Der Veränderungsdruck trifft Kirche mit voller Wucht.

In Personalfragen stehen viele Unternehmen inzwischen unter Druck. Die veränderten technischen, sozialen, politischen und demografischen Rahmenbedingungen setzen auch kirchlichen und sozialen Organisatio­nen massiv zu. Sie spüren die Verknappung an Fachkräften nicht nur in den für sie typischen Arbeitsfeldern des 3. Sektors – Pflege, Betreuung, Förderung, Erziehung – schon heute deutlich. Neue Rechtslagen wie der Kita-Anspruch, die Dynamik der modernen Arbeitswelt und nicht zu­letzt die Alterung der eigenen Beschäftigten fordern sehr bald mehr als reaktive Maßnahmen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor­schung (IAB) prognostiziert schon in fünf Jahren „verstärkt Engpässe“ bei der Personalbeschaffung in technischen und Gesundheitsberufen. Im Blick auf den Mangel an Erzieherinnen erwägt es die „Reaktivierung“ der „stillen Reserve“ (hier: die teilzeit- oder gar nicht mehr beschäftig­­ten Erzieherinnen). Das Problem jedoch reicht tiefer: Wenn es kirchli­chen Organisationen nicht gelingt, ihre zu besetzenden Positionen als attraktiv am Arbeitsmarkt zu präsentieren, werden sie im Wettbewerbs­druck das Nachsehen haben. Eine angemessene Vergütung ist wichtig, doch zeigen Studien, dass andere Faktoren zugleich eine wichtige Rolle spielen. Hier ist Führung gefragt. Eine reife Führungspraxis ist der Schlüs­sel für alles: für eine glaubwürdig vorgelebte Kultur, für die Um­setzung von Strukturen, die eine flexible, selbstgestaltete und gesunde Arbeitsplatzgestaltung ermöglichen, und für vieles mehr.

2. Ein gutes Image und ein guter Prozess hängen zusammen.

Untersuchungen weisen nach, wie wichtig Arbeitgeber-Images bei der Entscheidung für oder gegen einen Job sind. Eine Arbeitgebermarke (Employer Brand) ist aber kein rein virtuelles Marketingprodukt. Sie muss authentisch (vor-)gelebt werden, und zwar nach klaren Leitbil­dern, nicht nach Gusto. Sie zu entwickeln und mit Leben zu füllen, bedarf es eines systematischen, transparenten und evaluierungsfähigen Prozesses. Nach den Skandalen der letzten Jahre hat der Ruf der Kirche – auch als Arbeitgeber – gelitten. Trotz vorbildlicher Maßnahmen zum Kinderschutz und der Vorbeugung in den kirchlichen und sozialen Organisationen wird es dauern, bis diese ihre Wirkung zeigen. Der Wandel, der hierzu erforderlich war, war schmerzlich, aber effektiv. Einige Institutionen haben dies erkannt und sind in entsprechende Prozesse eingetreten. Change-Prozesse sind langwierig, aber lohnend. Hier können Berater moderieren und Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen.

3. Kirchliche Einrichtungen sind anders, kirchliche Change-Prozesse auch.

Der besondere Charakter kirchlicher Einrichtungen spielt bei Change-Projekten eine wichtige Rolle. Um nur ein kleines Detail zu nennen: Die betreffenden Arbeitgeber bilden mitunter auch eine Lebensgemein­schaft und gehen nicht, wie anderswo, nach der Arbeit auseinander. Wenn Berater hier vorschnell den Anschein erwecken, als wären das alles Nebensächlichkeiten, zielt das am kirchlichen Kerngedanken vor­bei. Natürlich sind gute und schlechte Prozesse nicht spezifisch katho­lisch oder evangelisch. Aber so wenig die frohe Botschaft ein Produkt ist, die über den Marketingkamm geschoren werden kann, so wenig gesche­hen Abläufe im Vakuum oder luftleeren Raum. Der Vorteil spezifisch ge­prägter Berater ist, dass sie die Sprache des Kunden nicht nur sprechen, sondern auch verstehen. So können sie dazu beitragen, dass das katho­lische Profil gestärkt und in Angeboten wie Abläufen zugleich effektiv und effizient verwirklicht werden kann.

4. Das Charisma zu leiten ist erlernbar.

Ein zentrales Stichwort in der Führungsliteratur ist Authentizität. Wäh­rend das Thema Führung zunächst einmal die Frage nach dem Selbst­ver­ständnis der Führungskraft aufwirft, ist im zweiten Schritt die Frage nach dem individuellen Führungsverhalten zu stellen. Die eigene Rolle als Coach, Mentor oder dienende Kraft etc. gilt es – gemäß Begabung und Charisma – zu finden. Der Begriff des (von Gott verliehenen) Cha­ris­mas vernebelt allerdings häufig, dass dieses (weiter-)entwickelt wer­den soll und dass das, was dem einen gegeben ist, von anderen gelernt werden kann. Die Toolbox muss nur weit und tief genug geöffnet wer­den. Professionelle Unterstützung kann hier Wunder wirken.

5. Frauen führen anders, oder?

Das Thema Frauen in Führungspositionen ist gerade im Umfeld Kirche neu zu beleben. Papst Franziskus hat sich eindeutig dazu bekannt, doch sind es teilweise die Frauen selbst, die verantwortungsvolle Positionen meiden. Dies ist allerdings kein kirchenspezifisches Problem, aber ei­nes, das Kirche besonders angeht. Nachhaltige Change-Prozesse schür­fen das Thema tiefer auf und entwickeln Maßnahmen, um mit stereo­typen Führungsrollen zu brechen, nicht-fördernde Abläufe zu beenden und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Auch das durchgängige Gender-Pay-Gap, der z. T. eklatante Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern in vergleichbaren beruflichen Positionen, gehört in die­sem Zusammenhang auf die Agenda.

6. Strukturen: Von Machtfragen zu Mach-Fragen!

Um die nötigen Veränderungen wahrnehmen zu können, sollten Füh­rungskräfte auch in der Lage sein, dies zu tun. Veränderungen in der klassischen Aufteilung „Programmleitung“ und „Kaufmännische Lei­tung“, wie sie in vielen kirchlichen Bereichen üblich ist, sind deshalb nicht sakrosankt. Angesichts sich ändernder Aufgaben sollten sie neu überdacht werden.

7. Die Organisationsgrenzen verschwimmen.

Das Total Workforce Management (strategischer Personaleinsatz) bildet die sich verändernde Belegschaftswirklichkeit ab: Dienstleister, Leihar­beiter, geringfügig Beschäftigte, Zulieferer, Wettbewerber – in vielen Unternehmen entsteht ein Mix, der die Kernbelegschaft beeinflusst und wechselseitiges Beziehungsmanagement erfordert. Bei kirchlichen In­sti­tutionen hat das Thema eine eigene Relevanz, wenn in bestimmten Bereichen nicht-konfessionelle oder andersreligiöse Beschäftigungs­ver­hältnisse entstehen. Die globalisierte, arbeitsteilige Zeit erfordert nicht nur neue Kommunikation, sondern darüber hinaus Selbstvergewisse­rungsmaßnahmen.

8. Alt ist das neue Jung.

Die Arbeitslosigkeit der 50-Jährigen ist weiter gesunken. Auch im EU- Vergleich steht Deutschland gut da. Bei den über 60-Jährigen sieht es aber anders aus. Entscheidend ist auch hier die Qualifizierung. Je höher, desto nachgefragter. Ältere Arbeitnehmer gelten vielfach als weniger flexibel und von geringerer Leistungskraft. Nach eigenen Angaben füh­len sich Ältere (und Jüngere) wegen ihres Alters gemobbt. Doch hinter Sätzen wie „Das haben wir schon immer so gemacht!“ oder „Was weißt denn du schon?!“ schlummern Ängste, Vorurteile oder Machtansprü­che. Sie stellen eine künftig nicht mehr hinnehmbare Ideen- und Res­sour­cenverschwendung dar. Keine Organisation kann es sich heute mehr leisten, das Potential ihrer Beschäftigten nicht maximal zu heben. Und keine Organisation kann sich Führungskräfte leisten, die als Brem­ser, Machtpromotor oder Einzelkämpfer gelten – freilich auch keine sol­chen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Change-Prozesse stellen hier die richtigen Weichen bereits bei der Personalauswahl und bei der Ent­wicklung geeigneter Fortbildungsmodule (auch auf E-Learning-Basis).

9. Fehlt der Generation Y das Karriere-Gen?

Junge Menschen, die nach 1985 geboren sind, und zur sogenannten Gen Y zählen, haben veränderte Vorstellungen vom Wert der Arbeit im Ver­hält­nis zu ihrer Freizeit. Das schafft neue Erwartungen an ihre Arbeitge­ber in puncto Offenheit, Unterstützung und Flexibilität. Auch das Fern­ziel Führungsrolle scheint längst nicht mehr so attraktiv wie für andere Generationen. Hier müssen Personalverantwortliche und Führungskräf­te in kirchlichen Organisationen inhaltliche und organisatorische Ange­bote entwickeln, die bereits jetzt erprobt werden sollten.

10. Flexibilität braucht feste Strukturen und Offenheit.

Die verschiedenen Erwartungen von flexibler Arbeitszeit unter einen Hut zu bringen, ist für kein Unternehmen einfach. Besonders Organisa­tio­nen in kirchlicher Trägerschaft tun sich doppelt schwer, weil viele soziale Dienste am Klienten nicht per Telearbeit zu machen sind. Oder etwa doch? Arbeitszeitkonten, Teilzeitanspruch, Gleitzeit und Sonder­freizeiten sollten weitergedacht werden. Erfahrungsgemäß profitieren die Vorbereitungs- und Übergangsphasen von Modell- oder Pilotpro­jek­ten besonders von professionellen Change-Begleitern.

Um im 21. Jahrhundert Mitglieder, Kunden und Mitarbeiter der katho­lischen Kirche und ihrer Institutionen und Unternehmen begeistern zu können, wird es notwendig sein, die wirklichen Bedürfnisse zu erken­nen und zu erfüllen, die jeweilige Organisation gemeinsam zu beleben mit einer dienenden und wertschätzenden Führungskultur, sowie klar und authentisch zu kommunizieren.