Zufriedenheitsstudie im Bistum Münster
Im Bistum Münster sind im Jahr 2013 10.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, so viele wie noch nie; selbst der bisherige Höchststand von 8.000 Ausgetretenen aus dem Jahr 2010, dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale, wurde damit deutlich übertroffen, ganz zu schweigen von den Zahlen der vergangenen zehn Jahre, in denen zwischen vier- und siebentausend Austritte zu verzeichnen waren. Auch bei Gottesdienstteilnahmen, Taufen und Trauungen ist ein steter Abwärtstrend zu beobachten. Diese Zahlen – und die Überzeugung, dass sie nicht allein durch die großen kirchlichen Krisenthemen bedingt sind – waren Anlass genug für eine repräsentative Studie zur Zufriedenheit von Katholiken mit ihrer Kirche, die das Bistum Münster bei drei Professoren mit dem Spezialgebiet Marketing (Heribert Meffert, Peter Kenning und Tim Eberhardt) in Auftrag gegeben hatte. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden 1.000 Katholiken im Bistum Münster in Telefoninterviews befragt; zusätzlich gab es eine Spiegelbild-Untersuchung unter 80 pastoralen Mitarbeitern, wie sie die Zufriedenheit der Katholiken einschätzen.
Gemäß dieser Erhebung ist die Zufriedenheit der Katholiken mit der katholischen Kirche insgesamt relativ kritisch zu sehen – auf einer Skala von 1 (positiv) bis 5 (negativ) erreicht sie einen Mittelwert von 3,1. Die pastoralen Mitarbeiter schätzen die Zufriedenheit der Katholiken mit der Kirche noch schlechter ein, als diese tatsächlich ist (MW = 3,5). Nur wenig höher und immer noch nur durchschnittlich ist die Zufriedenheit mit der Pfarrgemeinde (MW = 2,7); dieser Wert wird von den pastoralen Mitarbeitern leicht überschätzt (MW = 2,6). Ähnliche Ergebnisse liefert die Frage danach, ob die Pfarrgemeinde in kritischen Situationen Halt bietet (MW = 2,7, wieder mit leichter Überschätzung durch die pastoralen Mitarbeiter [MW = 2,5]). Dass 17 % angeben, in der Pfarrgemeinde keinen Halt bei kritischen Situationen zu erfahren, wird von den Autoren als „sehr schlechter und kritischer Wert“ interpretiert. Nach Einschätzung der Befragten hat sich die Zufriedenheit mit der katholischen Kirche in den letzten fünf Jahren nicht verändert; die pastoralen Mitarbeiter nehmen hier hingegen eine Verschlechterung des MW um 0,25 wahr.
Differenziert man nach den kirchlichen Grundvollzügen, so sind kaum Unterschiede festzustellen: Sowohl bei Gottesdiensten und Seelsorge, Erziehung und Bildungsangeboten, dem gemeinschaftlichen Miteinander als auch bei den sozialen und caritativen Leistungen liegt der Wert im durchschnittlichen Bereich (MW jeweils 2,8). Die pastoralen Mitarbeiter überschätzen wiederum die Zufriedenheit in allen Bereichen, am stärksten bei der Diakonie (MW = 1,9). Blickt man auf die verschiedenen Altersgruppen, so ist der höchste Anteil an Unzufriedenen mit der Kirche bei den bis 25-Jährigen (37 %) und den 56- bis 65-Jährigen (35 %) zu finden. Bei der Unzufriedenheit mit der Pfarrgemeinde, die ohnehin geringer im Vergleich zur Kirche insgesamt ist, sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen deutlich geringer.
Das Thema „Kirchenaustritt“ spielt für 56 % der Befragten keine und für 23 % eher keine Rolle, 21 % der Katholiken sind jedoch als „austrittsgefährdet“ anzusehen. Hauptgründe für einen etwaigen Austritt sind Rückständigkeit der Kirche (56 %), dann erst Kirchensteuer (40 %) und Enttäuschung durch die Kirche (37 %). Schließlich nach der Bekanntheit der Kirche unter den Katholiken gefragt: 95 % wissen, in welchem Bistum sie wohnen, der Name des Bischofs ist 79 % bekannt (was einen sehr hohen Wert darstellt), den Namen des Pfarrers kennen 67 %, und 61 % geben an, ihre Pfarrgemeinde gut zu kennen.
Nach der Interpretation der Autoren kommt es für das Bistum darauf an, die Zufriedenheit der Katholiken mit ihrer Kirche zu erhöhen, wenn sie die Zahl der Kirchenaustritte senken will. Nicht alle Faktoren eines Austritts sind vom Bistum beeinflussbar, v. a. die Zufriedenheit hinsichtlich der Beziehungsqualität zwischen Kirchenvertretern und Gläubigen lasse sich aber steigern und so das Austrittsrisiko verringern. Das Fazit der Autoren lautet, dass die Lage für die Kirche im Bistum Münster zwar ernst, aber nicht hoffnungslos sei, „wenn die veränderten kirchlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ernst genommen werden, wenn die notwendigen Veränderungen integer, interaktiv und integrierend angegangen und gestaltet werden, wenn die kirchlichen Dienstleistungen gläubigen-orientiert weiterentwickelt werden“ (Statement Meffert/Kenning, 3).
Der Bischof von Münster, Felix Genn, weist darauf hin, dass die Kirche vor allem eine fragende, hörende und aufmerksam hinschauende sein muss und von diesen Wahrnehmungen her nötige Maßnahmen zur Kirchenentwicklung ableiten soll. Dabei steht für Bischof Genn folgende Idee von Kirche im Hintergrund: Wir „wollen an der Seite der Menschen und mitten unter ihnen stehen; wir wollen, wie Papst Franziskus es sagt, ‚den Geruch der Schafe‘ annehmen; wir wollen eine einladende und keine ausschließende und selbstbezogene Kirche sein; wir wollen eine Kirche sein, die die Charismen und Begabungen aller Gläubigen aufsucht und fördert; wir wollen eine Kirche sein, die für die Menschen da ist – gerade für die Armen und Schwachen in unserer Gesellschaft. Wenn uns das in ganz konkretem Handeln und durch eine Verbesserung der Beziehungsqualität gelingt, dann spüren die Menschen hoffentlich: der Bund zwischen Gott und den Menschen gilt auch für sie und kann ihr Leben ungemein bereichern. Lassen wir uns auch im Bistum Münster von dem leiten, was Papst Franziskus sagt: ‚Bei der Alternative zwischen einer Kirche, die auf die Straße geht und dabei Probleme bekommt, und einer Kirche, die an Selbstbezogenheit krank ist, habe ich keine Zweifel, der ersten den Vorzug zu geben.‘“ (Statement Genn, 2). Träger dieses Prozesses sind alle Getauften und nicht nur die Hauptamtlichen, hebt Bischof Genn hervor, indem er Papst Franziskus zitiert: „Jeder Getaufte ist, unabhängig von seiner Funktion in der Kirche und dem Bildungsniveau seines Glaubens, aktiver Träger der Evangelisierung, und es wäre unangemessen, an einen Evangelisierungsplan zu denken, der von qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt würde, wobei der Rest des gläubigen Volkes nur Empfänger ihres Handelns wäre. Die neue Evangelisierung muss ein neues Verständnis der tragenden Rolle eines jeden Getauften einschließen“ (Evangelii gaudium 120).
Der Seelsorgeamtsleiter des Bistums Münster, P. Manfred Kollig, skizziert einige Konsequenzen aus der Studie. Zunächst betont er die Wichtigkeit der Wahrnehmung und genauen Analyse der Erwartungen sowie der Zufriedenheit/Unzufriedenheit der Katholiken; gerade die teilweise hohe Diskrepanz zwischen der Einschätzung der hauptamtlichen Mitarbeiter und den tatsächlichen Ergebnissen bestätigt, dass mehr Zeit für die Wahrnehmung der Menschen und ihrer Sozialräume verwendet werden sollte. „Hinsehen ist keine Zeitverschwendung, sondern Grundlage für den seelsorglichen Dienst“ (Statement Kollig, 2). Weiterhin sollen experimentelle Räume geschaffen und Menschen in den Blick genommen werden, die nicht zum inner circle der Pfarrei gehören. Kollig plädiert für eine einladende und dienende Kirche, die sich noch stärker an den Erwartungen der Menschen orientiert, besonders denen, die der Kirche mit Distanz begegnen oder nur selten Kontakt mit ihr haben. Wichtig sei eine Verbesserung der Beziehungsqualität zwischen Kirchenvertretern und den Menschen sowie personale Präsenz auch in größer werdenden pastoralen Räumen. Zudem sei die externe und interne Kommunikation zu professionalisieren – „es braucht eine Feedback-Kultur, eine verbesserte Ansprechbarkeit, eine multimediale Kommunikation und Offenheit für Dialog und kritischen Diskurs“ (ebd., 3). Schließlich bedürfe es bei kirchlichen Angeboten einer systematischen und kontinuierlichen Prozess- und Ergebnisevaluation: „Dabei geht es nicht um eine Zertifizierung der Pastoral, sondern um eine Etablierung von Instrumenten für die kritische Würdigung des pastoralen Alltags“ (ebd.). Es wird spannend sein zu beobachten, wie die Umsetzung dieser Konsequenzen im Bistum Münster gelingt.
Ein Überblick über die Ergebnisse und die Statements zur Studie sind auf der Homepage des Bistums Münster zu finden.