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Wir müssen gar nichts tun, sondern dürfen anders sein, um das Richtige tun zu können

Die kasualienfrommen Wanderer – nur kirchliche Außenseiter? Ottmar Fuchs entfaltet eine Sakramententheologie, die offen ist für gerade solche „Außenseiter“, in der die Wanderer zum Paradigma für einen Glauben wer­den, der nicht von Zugehörigkeitsstrukturen, sondern von der bedingungs­losen Liebe Gottes zu allen Menschen ausgeht.

1. Was tun?

Soziologische Analysen führen die theologische und noch mehr die kirch­liche Seite verständlicherweise dazu, in einer bestimmten Weise gegenabhängig zu reagieren: Milieuforschungen offenbaren die Defizite kirchlicher Reichweite, und sofort stellt sich die Frage, wie denn noch mehr, möglichst alle Milieus erreicht werden können. Ähnliche Reaktio­nen kann ich mir hinsichtlich der Forschungen zu den religiösen Wande­rern vorstellen. Bei schwindenden personalen und strukturellen Res­sour­cen holt man sich damit zusätzliche Druckverhältnisse ein, die sich eher problemverstärkend als problemlösend auswirken. Aber warum und wozu müssen Menschen „erreicht“ werden?

Das fragwürdige Grundmuster des Umgangs mit entsprechenden Her­ausforderungen hat sich dabei nicht verändert, sondern nur verscho­ben, das Grundmuster, das die kirchenanteiligen Gründe für die reli­gi­öse Emanzipation der Wanderer bereits provoziert hat: Ich nenne es das Grundmuster der Zwanghaftigkeit. Bei Einkehrtagen in neugewählten Pfarrgemeinderäten begegnet sie mir mit der Frage: Was müssen wir denn tun, damit wir die Jugend oder andere (wieder!? oder noch!?) er­reichen? Dahinter lauert ein universalistischer Missionsbegriff mit inte­gralistischen (eher evangelischen) Glaubens- bzw. (eher katholischen) Kirchenstrategien. Und ich habe dann zu tun, die Besinnung vom Ha­ben­wollen und Tun zum Loslassen und Sein, von der Mitgliederwer­bung auf die Frage herüberzuretten: Was ist uns an unserem Glauben so wertvoll, dass wir ihn weitersagen wollen?

Das Wertvollste am christlichen Glauben ist zuallererst die befreiende Botschaft, dass wir weder uns noch die anderen schädigen, wenn dieser Glaube nicht gegeben ist. Dies wäre die heilsame paradoxe Intervention: Gerade weil weder Hölle noch irgendeine andere angstmachende Sank­tion zum Glauben und zur Kirche zwingen, ist dieser Glaube so wert­voll. Und deshalb kommt ihm eine eminent religionskritische Bedeu­tung zu. Welche Gottesbeziehung ermöglicht, schenkt und trägt eine solche zur Religionsgeschichte (auch des Christentums) durchaus immer wieder alternative Gottesgabe?

Die Herausforderung liegt also nicht primär in der Suche nach besseren Strategien und Methoden, sondern in der Verwirklichung der eigenen Identität, der eigenen Mission im Sinne der Sendung zur in mitmensch­licher und sozialpolitischer Solidarität erfahrbaren Verkündigung eines Gottes jenseits jedes Freiheitsverlusts und Liebesentzugs.

2. Von Geburt an ersehnt!

Unter Menschen, die geliebt wurden und lieben können, denen also in beider Art Liebe geschenkt ist, lebt die Sehnsucht, dass der geliebte Mensch unbedingt ersehnt und erwünscht ist. Wer liebt, will, dass der geliebte Mensch ist, dass er da ist, dass er lebt, dass er vorhanden ist. Das Beste, was Menschen passieren kann, ist, dass sie von Geburt, ja von Empfängnis an ersehnt sind und dass es ihr Sein gibt, weil sie erwünscht sind.

Dürfen die Menschen Ähnliches denken und hoffen, wenn es um das Da­­sein aller Menschen überhaupt und dieser Erde und des ganzen Uni­ver­sums geht? Diese Warum- und Wozu-Frage fragt nicht nur danach, ob es einen Gott gibt, der das alles erschaffen hat, sondern warum Gott das getan hat.

Beantwortet man die Frage, was das Motiv eines schöpferischen Gottes ist, mit dem Vorzeichen der Liebe, dann darf man folgern, dass diese Liebe das Sein des Geschaffenen will und nicht zugrunde gehen lassen will, sodass dieses Sein „ewig“ geliebt werden kann und lieben kann. Nicht erst, was biblisch Erwählung heißt, kann die Erwählung zur Liebe sein. Denn letztere ereignet sich bereits mit der Schöpfung bzw., indivi­duell gesehen, mit der Geburt. Gottes schöpferische Liebe zum Leben zeigt sich nicht erst in der Erwählung zum Glauben, sondern bereits in der Schöpfung und in allen Schöpfungen. Die Erwählung muss sich also auf etwas anderes beziehen als auf die Liebe und das Geliebtwerden. Nur und erst sie auf die Liebe zu beziehen ist einer der verhängnisvoll­sten Fehler der Religionen, sowohl, was die Verkleinerung Gottes anbe­langt, wie auch, was die destruktiven Folgen für nichtdazugehörige, nichterwählte Menschen angeht. Viele Wanderer hatten oder projizie­ren solche Erfahrungen.

Es gilt, fürs Leben insgesamt abzurüsten von übermächtigen Muss­struk­turen und den Blick zu wenden auf die Gegebenheitsverhältnisse, die es Menschen ermöglichen, guttuend zu leben und zu handeln. Dies ist nicht möglich, wenn alles im Müssen erstickt. Wenn eine Freund-schaft oder Liebe abhanden kommt, dann sind die ersten Anzeichen, dass man sich gegenseitig mit Wenn-dann-Forderungen belastet und unter Druck setzt. Wer klammert, hat vom Verhältnis von Liebe und Freiheit nichts verstanden. Das gilt erst recht für die Transzendenz-beziehung. In der Gottesbeziehung ist der Fundamentalismus ein solches „Klammern“.

Bei Gott stößt ein solches Klammern ins Leere. Denn die Geburt ist be­reits die Gnade, von Gott bedingungslos erwünscht und geliebt und deshalb ins Dasein gebracht zu sein. In der Geburt ist kreatürlich erfahr­bar, was Gnade ist. Es sind die Voraussetzungen dieser Welt, die die Voraussetzungslosigkeit der Geburt durchkreuzen oder ansatzhaft ermöglichen. Kirchen sollten auf der Seite der Ermöglichung stehen.

Der Gottesglaube ist nicht notwendig für ein gutes Leben, auch nicht für ein gutes Leben, das anderen guttut. Hierfür ist nur eines notwendig: die menschliche Erfahrung von Zärtlichkeit und Annahme. Lieben und geliebt werden können alle Menschen. Es muss nicht sein, Gott in religi­ösen Sprachspielen thematisiert zu haben. Christen und Christinnen zeigen, dass es gut ist und guttut, dass es Ressourcen und Kräfte schenkt, vor allem für die Solidarität über die eigenen Grenzen hinaus, an einen solchen Gott glauben zu dürfen. Auf Anfrage geben sie davon Rechenschaft und schließen auch nicht die Türen zu jenen Räumen, wo sie beten und die Sakramente der Kirche feiern, und sie lassen alle, wenn sie daraufhin neugierig werden, an diesem Glauben teilhaben.

Aber es gibt keine nötigenden und zwingenden Gründe glauben zu müs­sen, um das Heil zu erlangen. Kein Mensch muss glauben, um von Gott geliebt zu werden, dies ist ohnehin der Fall. Der Glaube ist nicht die Be­dingung der Liebe Gottes, sondern die Be­dingung ihres Gefeiert-, Be­wusst- und Innewerdens. Solcher Glaube ermöglicht Fremdverstehen, vermag es aber auch zu überholen, insofern auch das Fremdbleibende allein aufgrund seiner nackten Geburt, also bedingungslos, in seiner Existenz zu schützen ist.

3. Mission in Freiheit

Es ist die Vorstellung aufzugeben, dass anderen, die nicht christlich glauben, etwas fehle: Sie haben bereits „alles“, das Leben und mit ihm die göttliche Liebe. Die Defizitvorstellung Anders- oder Nichtglauben­den gegenüber hintertreibt die in der Geburt allen Menschen gegebene Gotteskindschaft und Gottesvolkschaft (vgl. die Pastoralkonstitution des 2. Vatikanums, wo alle Menschen zum Gottesvolk gehören) und die mit dem Geschenk der Geburt verwurzelte Liebe. Die Religionen haben nur eine Möglichkeit, die „Plausibilität“ ihrer Botschaft eines guten Gottes darzustellen, nämlich ihr Zeugnis dafür, dass Gott das Leben aller will, dass die Geliebten und die Ungeliebten, weil Gottes Liebe universal ist, sein dürfen.

Darin liegt die „Erwählung“ des Christentum, die allen Geborenen ge­schenkte Ersehntheit Gottes zu erfahren und weiterzusagen, und zwar vorbehaltlos: Ihr seid als die, die und wo immer ihr jetzt seid, noch be­vor ihr euch verändert habt, von Gott unendlich geliebt. Und das bleibt auch so, wenn ihr euch nicht verändert. Nicht dass es Gott gleichgültig wäre, wie wir leben, aber die Differenz in der Reaktion Gottes besteht nicht in der Intensität der Liebe, sondern in der Differenz zwischen Freude und Schmerz, grundgelegt in Gottes substantieller Empathie in Christus: in Solidarität mit den Opfern und in Versöhnung für die Täter. Um es zu ahnen (und Eltern, deren Söhne und Töchter schlechte Wege gehen, können, gerade weil sie ihre Liebe nicht zurückziehen, ein leid­volles Lied davon singen), sei der Vergleich gewagt: Gott liebt immer mit gleicher Intensität, der Unterschied liegt darin, dass schlimmen Menschen gegenüber die Liebe zum Schmerz, zum „Kreuz“ wird, während sie den Guten gegenüber eine Freude ist.

In dieser Liebe verschärft sich alles, denn sie kann nicht Liebloses über­sehen. Denn es würde der universalen Liebe widersprechen, würde Lieblosigkeit bis in die Ewigkeit hinein ignoriert oder für ungeschehen erachtet werden. Die Ereignisse dürfen nicht verloren gehen. Sie kom­men wieder zum Vorschein und werden hineingehoben in das unendli­che Geliebtsein, in die darin erlebte brennende Reue bzw. in die Freude hinsichtlich des Vergangenen und in die Rettung. Wenn es im Gericht auch für die Lieblosen keinen Liebesentzug gibt, darf man darauf hof­fen, dass sie diese unerschöpfliche Liebe angesichts ihrer Vergangenheit als in die Unendlichkeit reichenden Liebesschmerz erfahren. Dies ist nicht weniger, sondern „mehr“ als jede von außen auferlegte Strafe.

Ob Menschen auf die Kirchen zukommen und sagen: Hier ist gut sein, bei euch wollen wir bleiben, oder ob sie in ihren eigenen Räumen des Le­bens und ihrer Religion und Kultur verbleiben, das hat niemand in der Hand. Es ist schon, aus diesem Blickwinkel, ein großer „Mis­sions“-Er­folg, wenn Menschen in ihren eigenen Religionen die Tiefe dieser unbedingten Liebe entdecken: Die Barmherzigkeit Gottes begegnet in jeder Sure des Korans.

Wie mir vor Jahren erzählt wurde: Eine muslimische und eine christ­liche Familie wohnen in Nachbarschaft zueinander, gehen gut mitein­ander um, in Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Bis eines Tages die muslimische Frau zur christlichen Nachbarin  sagt: „Ich kann es nicht mehr aushalten glauben zu müssen, dass ihr nicht in den Himmel kommt.“ Wo Menschen sich in ihrem je eigenen Glauben so von einem beängstigenden und ausgrenzenden Gott erlösen lassen, ist christliche Mission gelungen. Bei der Mission muss also für die Institution der Kirche „nichts“ herausspringen.

Diese Mission kann sich auch gegenseitig ereignen: wenn z. B. Goethe in seinem West-östlichen Divan sich vom persischen Dichter Hafis darin be­stätigt erfährt, mit welcher Freiheit man mit der Orthodoxie umge­hen kann und darf (vgl. Fuchs 2011a, 113–140). Was Hafis für Goethe war, könnten die Wanderer für Theologie, Kirche und Pastoral sein. Oder mit dem Propheten Amos: „Wohl habe ich Israel aus Ägypten herausgeführt, aber ebenso die Philister aus Kaftor und die Aramäer aus Ki“ (Am 9,7).

4. Im Spiegel der spirituellen Wanderer

Im Horizont dieser Vergewisserung christlicher Identität erweist sich die soziologische Forschung zu den spirituellen Wanderern als erschre­ckend aufschlussreich. Denn sie spiegeln in ihren Sehnsüchten und Reaktionen genau jene Glaubenspraxis und Kirchenpraktik, die die angesprochene Identität nicht oder zu wenig realisiert.

Unschwer ist dies bei den Grunddynamiken zu erkennen, die Winfried Gebhardt resümiert: einmal die Sehnsucht nach Freiheit im religiösen Bereich, auf der Basis individueller Selbstbestimmung und der Plurali­tätsfähigkeit religiöser bzw. spiritueller Wege, zum anderen die Annah­me eines „Absoluten“, das dem Menschen positiv zugewandt ist, als „Quellpunkt von Liebe und Freude“. Auf diesem Hintergrund wird die Praxis der Kirchen als zu eng und zu angstmachend erlebt.

Ich frage mich ernsthaft: Was hätten die Wanderer getan, hätten sie be­reits in den und zwischen den Kirchen „wandern“ können, hätten sie bereits dort Freiheit, sanktionsfreie Kirchen- und Glaubenskontakte und unzugriffige Gemeinschafts- und Gottesdienstformen erlebt? Es geht mir nicht um die Bezichtigung gegenwärtiger kirchlicher Wirklich­keit, die längst vielfach in ihrer Pastoral Entzwingung und Entängsti­gung lebt, mit der verbundenen Hilflosigkeit der Realität gegenüber, dass es aufgrund anderer Kirchenerfahrungen und medial vermittelter Projektionen (an deren Entstehen aber die Christentumsgeschichte nicht unschuldig ist) gar nicht mehr zu solchen Kontakten kommt, weil die Wanderer schon weit weggegangen sind. Das ist auszuhalten, weil es keine anderen Wege mehr für die christliche Pastoral gibt, als den zwang­freien „Zwang“ der eigenen Identität, der nur noch durch seine Authentizität wirksam sein kann.

Ein erster Weg dazu ist die soziale Selbstpluralisierung in und zwischen den Kirchen, aber auch zwischen den Kirchen und vielen gesellschaft­lichen Institutionen und Initiativen mit entsprechenden Solidarisie­run­gen. Wenn der einzelne Mensch, und nicht mehr ein zusammenhängen­des soziales Milieu, letzter Bezugsort der Pastoral ist und wenn dies auch längst im Bereich der Aneignung von Religionen realisiert wird, dann kommt eine Gesamtpastoral in den Blick, in der es viele unter­schied­liche Orte, Initiativen, Gruppierungen und Teilvollzüge gibt, die passagenermöglichend voneinander wissen, sich aufeinander beziehen und die Menschen zueinander loslassen können.

Es gibt allerdings eine erhebliche Anzahl von Wanderern, die mit sol­chen kirchlichen Räumen keinen Kontakt hat und dennoch in einem be­sonderen Bereich noch oder wieder mit den Kirchen in Berührung kommt, bezeichnenderweise im Bereich der Sakramente und der damit zusammenhängenden Symbolhandlungen. In diesen Begegnungen ha­ben die Kirchen die Chance, einiges wiedergutzumachen. Denn in der Beanspruchung dieser Liturgien bündeln sich die angesprochenen Sehn­süchte der Wanderer nach spiritueller Freiheit, nach erfahrbarem Segen (im Sinne eines religiösen Getragen- und Geschütztseins) und nach ei­nem sozialen Kontakt, der wieder loslässt in das eigene Leben hinein. Die kirchliche Pastoral kann ihrerseits lernen, dass und wie ihre eigenen Sakramente sanktionsfreie Räume der „Transzendenzbegegnung“ sind und dass sie ihre eigenen, nicht zu kontrollierenden Auswirkungen auf das Leben der „Kasualienfrommen“ haben. Dies wäre eine neue, den spirituellen Wanderern entgegenkommende Weise, an die (evangeli­sche) Selbstwirksamkeit des Wortes bzw. an die (katholische) Selbst­wirksamkeit des Sakraments zu glauben.

Denn nicht ohne Grund sprechen diejenigen, die die Spiritualität, die die Menschen mit Kasualien (Taufe, Ehe, Kommunion und Firmung bzw. Konfirmation, Krankensalbung, Segnungen) verbinden, unter­sucht haben, von Kasualienfrommen (vgl. Först/Kügler 2006). Es ist interessant, dass sich die „unbekannte Mehrheit“ der Kasualienfrom­men nicht auf andere liturgische Formen abdrängen lässt, sondern zielsicher auf die sakramentalen Liturgien zusteuert.

5. Sakramentalität als sozialer Entgrenzungsschub

Die Pastoral bezieht sich auf beides, auf die Verkündigung der bedin­gungslosen Liebe Gottes für alle Menschen und auf die ebenso zuver­lässige Solidarität und Gerechtigkeit unter den Menschen. In Bezug auf die Diakonie Gottes den Menschen gegenüber sind die Sakramente her­ausragende Zeichen ihrer Erfahrung. Derart haben sie nicht nur einen Sammlungs-, sondern immer auch einen Sendungsaspekt: Sie befinden sich an der Grenze oder besser in der Überbrückung zwischen Innen und Außen, indem sie die Erfahrung der unbedingten Liebe Gottes auch denen nicht verwehren, die hinsichtlich der Sammlung zögerlich oder abständig sind.

Dies gilt vor allem und absolut für die Taufe. In diesem Sinn ist die Taufe nicht nur Initiationssakrament in bestehende Sammlungsformen der Kir­che hinein, sondern die Kirche hat auch die Gabe und die Aufgabe, diese zeichenhafte Erfahrung der bedingungslosen Liebe Gottes, die auch nicht an die Bedingung der Selbstintegration sozialer Art gebun­den ist, hinsichtlich der eigenen Sozialgestalten absichtsarm weiterzu­geben, analog zur zwischenmenschlichen Diakonie, die keinem Men­schen gegenüber durch irgendeine Bedingung blockiert und begrenzt werden darf.

Die Taufe besiegelt im Symbol, was die frohe Botschaft im Wort verkün­det. Und dies gilt nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Der­art ist nicht nur das verkündigende Wort, sondern, im Sinne des univer­salen Taufauftrags (Mt 28,19, vgl. auch Apg 8,36), auch die Taufe (und analog dazu die anderen Sakramente) zu verausgaben. Die Vorgegeben­heit des Symbolgeschehens wird auf diesem Hintergrund zu einer Funk­tion darin, die Zuverlässigkeit des Segens Gottes erfahren zu dürfen. Nach der Apostelgeschichte „genügt“ offensichtlich ein geistliches Ge­spräch en passant auf der Reise mit dem äthiopischen Hofbeamten („Was steht dem entgegen, dass ich getauft werde?“, Apg 8,37), der dann weiterreisen darf.

Deswegen ist es nicht nur als persönlich-religiöses Anliegen zu identifi­zieren, wenn Menschen diese Symbolvorgänge in ihr Leben einholen; vielmehr reagieren sie auch theologisch und ekklesiologisch sensibel, wenn sie die Sakramente als Außenbezug der real existierenden Kirche beanspruchen, um so in ihre Lebensräume hinein den Kirchenbegriff auf sakramententheologischer Basis mit sich selbst zu erweitern. Auch wenn sie kirchensoziologisch (sozialgestaltbezogen) nicht dazugehören, gehören sie dazu (nämlich sakramenten- und darin gnadentheologisch).

Es geht also um eine radikale Entkonditionalisierung der Gnade im wei­te­ren und der Sakramente im besonderen Sinne. Dieser Außenbezug hat auch nach innen eine befreiende Wirkung: insofern auch hier die Sakramente vertieft als die Zeichen der vorbehaltlosen Liebe Gottes erfahren werden können und weder an Widerspruchsverzicht noch an Konsenszwang noch an Wohlverhalten noch an Übereinstim­mungs­verhalten gebunden sind.

Die Taufe kann zwar weiterhin als Initiationsritus fungieren (insofern die Menschen in der real existierenden Kirche vorbehaltlos aufgenom­men sind), doch bringt das Sakrament aus seiner eigenen Identität eine dazu sperrige Dimension ein, nämlich bestehende kirchliche Sozialgefü­ge nochmals auf ganz bestimmte Außenbeziehungen hin zu sprengen, in denen es um einen Raum des Kirchlichen geht, der Rituale ver­schenkt, die nach innen Eingliederung bedeuten und nach „außen“ eine Freigabe in nicht selten neue und andere Spiritualitäten, in von kirchli­chen Instanzen nicht mehr einsehbare Lebensräume und eigenver­ant­wortliche Verbindlichkeiten hinein. Wir benötigen eine Pastoral, die entsprechend auf den Empfang der Sakramente vorbereitet, nicht da­durch, dass sie Hürden aufbaut, sondern abbaut. Und wie geht das? Angesichts folgender Geschichte kann man sich z. B. das Pathos des Verstehen-Müssens (was ja immer auch ein Zugriff und damit theolo­gisch nicht unschuldig ist) sparen:

In seiner Antwortrede anlässlich seines fünfundzwanzigsten Bischofs­jubiläums hat Weihbischof Werner Radspieler (Erzdiözese Bamberg) im Dezember 2011 erzählt, dass ihm vor allem solche Begegnungen wichtig und wertvoll waren wie z. B. diese: Der Bischof kommt in ein kirchliches Heim, wo man einen obdachlosen Mann aufgenommen hat, der nicht mehr lange zu leben hat. Die Schwester warnt, dass er ein schwieriger Mensch sei. Als er den Bischof sieht und ihn als Pfarrer erkennt, ruft er ihm zu: dass die Pfarrer doch so ein „Zeug“ hätten, mit dem alles Schlim­­me, was man getan hat, vergeben sei. Auf das Ja des Bischofs, dass es tatsächlich so ein Zeug gebe, fragt er ihn, ob er denn das Zeug auch dabei habe. Der Bischof hatte es dabei, und der Mann sagt: „Dann mach dein Zeug!“ Der Bischof spendet dem Mann die Krankensalbung. Das Ritual schenkte ihm eine tiefe Ruhe mit sich selbst, und er konnte loslassen und, wie die Schwester wenig später berichtet hat, versöhnt und in Frieden sterben. Es ist wunderbar, dass der Weihbischof nichts als den Wunsch des Mannes erfüllte und nach keinen Voraussetzungs­be­dingungen für den Empfang dieses Sakramentes fragte. Es reicht offensichtlich, etwas vom Mysterium der Gnade zu erahnen. Genau solche Momente sind für den Bischof pastorale Erfahrungen, auf die es wirklich ankommt.

So gilt mein Plädoyer dem „Ausverkauf“ der Sakramente, wie er Jesaja gefallen würde: „Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft Getreide, esst, kommt und kauft oh­­ne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung! … Neigt euer Ohr mir zu, und kommt zu mir, hört, dann werdet ihr leben. … Völker, die du nicht kennst, wirst du rufen; Völker, die dich nicht kennen, eilen zu dir, um des Herrn, deines Gottes, des Heiligen Israels willen, weil er dich herrlich gemacht hat“ (Jes 55,1–5).

So ist es aus dieser Perspektive völlig zutreffend, wenn ein muslimi­sches Mädchen, das bei der Schulendfeier mit den christlichen Mit­schülern und Mitschülerinnen in der Kirche so beeindruckt ist, das von dieser Atmosphäre her, die bis in das Leibliche hinein reicht, fast gar nicht anders kann, als mit vorzugehen und wie die anderen an der Eucharistie teilzunehmen, nicht zurückgewiesen wird. Es gibt eben nichts Niederschwelligeres als die Sakramente selbst.